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nicht. Und da war es schon schmerzlich eigentlich zu sehen, wie die eigenen
Leute …
IJ lässt in seiner Beschreibung unerwähnt, dass vor allem jene Männer interniert
wurden, die sich nationalsozialistischer Verbrechen schuldig gemacht hatten.
Verharmlosend reduziert IJ in seiner Erinnerung die Lagerinsassen auf ihr Sol-
datentum: Der Anblick von „Kriegskameraden“ hinter Stacheldraht berührte den
Erzähler „schmerzlich“, und diesen Schmerz erklärt IJ mit einer legitimierenden
Tendenz: „Da sind ja die Wenigsten freiwillig …“ und es „waren nicht alle begeisterte
Soldaten“. IJ bringt mit seiner Rechtfertigung der Teilnahme am Zweiten Weltkrieg
jene Emotionen auf den Punkt, die auch viele andere ErzählerInnen in der Erin-
nerung an die Entnazifizierung bewegen. Es sind dies die Frage nach der eigenen
Schuld, die man bislang nicht als solche wahrgenommen hatte, sowie der Umgang
mit der Tatsache, dass Freunde, Verwandte oder anerkannte Persönlichkeiten im
Ort als Verbrecher interniert und bestraft werden, während man diese selbst nie
auch nur annähernd als solche wahrgenommen hatte. Der Erzählstoff der Entna-
zifizierung gibt Einblick in psychologische Prozesse, die die ZeitzeugInnen (und
nicht zuletzt auch jüngere ÖsterreicherInnen in Anbetracht ihres geschichtlichen
Erbes) bis heute beschäftigen: Wo es an kritischer Auseinandersetzung und Refle-
xion der Vergangenheit und der eigenen Rolle in dieser Geschichte fehlt, da kön-
nen Rechtfertigungsgeschichten helfen, den Eindruck persönlicher Integrität wie-
der zurechtzurücken.
Der 1929 geborene GH spricht im nachfolgenden Ausschnitt einen weiteren
Aspekt der Erzählungen über die Entnazifzierung an. In seiner Darstellung stellt
auch er die Härte der Maßnahmen der französischen Besatzer in Frage, spricht
aber zugleich die Rolle der Widerstandsgruppen im Tal an, die seines Erachtens
nicht immer rechtschaffen mit den Besatzern zusammenarbeiteten, sondern teils
ihre Position zur persönlichen Abrechnung nutzten:
I: Und hat man dann […] die wo so vielleicht bei der Partei waren, oder so,
verhaftet?
GH: Ja, das ist ein anderes Problem. Die sind dann natürlich von den hiesigen
Widerstandsbewegungen, damals sind die natürlich gemeldet worden. Ja, das
ist der Ortsgruppenleiter gewesen, ich weiß nicht, der Ortsgruppenleiter und
so ein paar halt so, solche Funktionäre, Blockleiter und weiß ich, was es alles
gegeben hat. Das kann ich mich nicht einmal mehr genau erinnern. Aber es
sind schon ein paar, die hat man wieder zusammen gepackt. Die haben dann
wieder eben die Widerstandsbewegungen gemeldet. Und in Bludenz draußen
hat sich mittlerweile schon eine Gruppe gebildet, wo dann dafür da gewe-
sen ist. Und dann haben sie sie „z’Handa gnoh“413. Dann hat man sie in die
sogenannte Mokry hinaus getan, die. Da haben sie draußen müssen, sind sie
eingesperrt gewesen. Und viele haben gesagt: „Wir sind auch geschlagen wor-
413 übernommen.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439