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CC ♂, geboren 1933:
CC: Und die Landwirtschaft ist da maßgebend gewesen, wo heute die Land-
wirtschaft keinen Wert mehr hat. Die Landwirtschaft ist heute, praktisch
gesagt, Null. Und so haben wir das halt immer weiter gemacht. Dann haben
wir das alte Haus … da war die Schwiegermutter noch und die Schwägerin,
und jetzt was machen wir? Das alte Haus richten oder neu bauen? Dann
haben wir uns entschieden neu zu bauen und dann haben wir das gebaut.
Das ganze haben wir gemacht. Zuerst hab ich viel geholzt – im Holz hat
man was verdienen können, da hat man kein Fahrzeug gehabt zum Wegfah-
ren. Wir haben zu Fuß nach Schruns gehen müssen, wir haben alles zu Fuß
machen müssen. Man hat Lebensmittel selber rauf tragen müssen, das hat
man alles von Hand gemacht. Und dann sind die Straßen verbessert worden,
dann sind die Motorräder und die Autos gekommen, dann hat sich das immer
entwickelt. Dann bin ich dann arbeiten gegangen.
BD ♂, geboren 1927:
BD: Und da sind wir am 1. April 1967 eingezogen. Und da habe dann ich
mit der Frau und mit der Mutter noch das Geschäft betrieben. Die Mutter ist
dann 1978 gestorben, und wir haben das dann allein bis 1987, bis ich dann in
die Rente gekommen bin, am 31. März bin ich 60 gewesen, und dann bin ich
in die Rente gegangen. Es ist dort die Situation so gewesen, dass in Bludenz
die Großmärkte gekommen sind, wie der Interspar, und ein Überleben da im
Dorf unmöglich gewesen ist, oder. Und ich bin nur noch der Lückenbüßer
gewesen. Weil erstens, es ist von Vorneherein fast nicht möglich gewesen, dass
man leben hätte können von so einem Lebensmittelgeschäft. Bis 1962 haben
wir ja noch die Landwirtschaft betrieben, und dann haben wir die aufhören
müssen, weil der Vater einen Schlaganfall gehabt hat, und dann ist er ja 64
dann gestorben. […] Wenn ich heute drüber nachdenke, wie ich das über-
haupt machen habe können! Von Urlaub ist überhaupt keine Rede gewesen!
Bis 1987, bis wir das Geschäft zugetan haben, habe ich keinen Urlaub gehabt.
Auch die Frau nicht. Wir sind immer voll beschäftigt gewesen und voll ange-
hängt, mit dem Geschäft.
Der Wandel, der in diesen beiden Ausschnitten angesprochen wird, umfasst einer-
seits Veränderungen, die von Außen auf die Erzähler in ihren Arbeitsfeldern wirk-
ten: der Wertverlust der Landwirtschaft, die Modernisierung und Mechanisierung
der Arbeitstechniken, die Motorisierung, die Verbesserung der Infrastruktur bzw.
Konkurrenz durch Großmärkte, aber auch die Veränderungen, die das Computer-
zeitalter mit sich brachte. Andererseits thematisieren die Erzähler auch den Wan-
del im engsten, persönlichen Umfeld, der sich durch die Übergabe eines Unter-
nehmens von einer Generation an die nächste ergab, oder jenen von wirtschaftlich
schlechten auf gute Zeiten. Alle drei Erzähler schildern ihr Arbeitsleben als einen
Kampf, der sich aus wirtschaftlicher Konkurrenz („ein Überleben da ist unmöglich
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439