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372 In den lebensgeschichtlichen Erzählungen wird das Ende der Jugendzeit zumeist
mit dem Hinweis „Und dann lernte ich meineN Frau/Mann kennen“ beschrieben.
Gleich anschließend wird auf das gemeinsame Haus und die Anzahl der Kinder
verwiesen, nicht selten ist das Kapitel Liebe und Liebesbeziehungen damit auch
schon wieder abgehandelt. Lehmann fasst auf Basis seiner Untersuchungen die
Erzählungen von Bekanntschaften mit dem anderen Geschlecht als „bemerkens-
wert blutarm“ zusammen. Romantische Liebe erscheint den meisten Erzähler-
Innen nicht als Erzählanlass, über Sexualität wird nur in Andeutungen gespro-
chen.464 Ein näherer Blick auf die Darstellungen der eigenen Verliebtheit und der
Beziehung zur späteren Ehefrau verdeutlicht: Die Erfahrungen werden zumeist auf
den Hinweis, sich kennengelernt und geheiratet zu haben, reduziert.
JJ ♂, geboren 1927:
JJ: Und sonst im Leben, was soll ich da sagen. Ich habe dann geheiratet. Gut,
dann geheiratet anno 59. Und ich habe da von der Mama her ein „Plätzle“465
gehabt, da, wo wir jetzt da heraußen da sind. Da haben wir gesagt: „Da könn-
ten wir da bauen.“
CD ♂, geboren 1934:
CD: Ich bin dann da 22 Jahre geworden. Dann schaut man dann schon ein
bisschen nach den Mädchen. Und na ja. Und dann haben wir auch Platz-
konzert gehabt. Und nach einem Platzkonzert haben wir immer ein Freibier
gehabt im Gasthaus Adler in Tschagguns. Und da mussten wir immer an der
Küche vorbei gehen. Und da habe ich dann halt auch „hia und do ihignas-
nat“466, was da für Mädchen drinnen sind. Und dann ist auch eine Köchin
drinnen gewesen. Und hat man dann halt einmal ein paar Worte gesprochen.
Und ich rufe einmal so spöttisch hinein: „Gibt es da nichts Gutes?“ Und dann
sagt diese Köchin: „Jo allaweil för d’Musikanten hommr eppas Guats.“467
Und das ist dann meine Frau geworden. Das ist die GD aus Niederösterreich
gewesen. Und eine sehr, sehr gebildete Dame gewesen. Und ich habe mich oft
geniert, sie hat mehr gewusst als ich. Sie hat Innerösterreich gekannt, und ich
halt noch nicht. Ich bin um diese Zeit halt auch da Graubünden und Monta-
fon herum gekommen. Und Innerösterreich eigentlich wenig. Dagegen heute
ist Niederösterreich oder ganz Österreich mein Lieblingsgebiet. Und ich kenne
es auch ganz gut. Na ja, und dann haben wir auch geheiratet anno 56. Und
haben dann fünf Kinder miteinander gehabt. Dann habe ich … mit 33 habe
ich dann ein Häuschen gebaut. Und haben wir auch Gästezimmer gehabt.
464 Lehmann: Erzählstruktur und Lebenslauf. S. 235f.
465 Grundstück.
466 hie und da neugierig hineingeschaut.
467 Für die Musikanten haben wir immer etwas Gutes.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439