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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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390 Unfälle, ein heroisches Selbstbild zum Tragen, das sich aus dem permanenten Kampf gegen Leid und Schmerz nährt. Stolz auf die eigene Leidensfähigkeit ist eine mögliche Strategie, Krankheit als erzählenswerten Gegenstand in die eigene Lebensgeschichte einzubauen – und psychologisch besehen sicherlich auch ein Weg, mit der Herausforderung einer chronischen Krankheit oder bleibenden Behinderung zu leben. Der 1930 geborene BB thematisiert ebenfalls seine Krankheit, er stellt diese, bzw. seinen Umgang mit ihr, allerdings in einen anderen Kontext. Bei BB wurde die Diagnose Lungenkrebs gestellt. Für ihn sind in seiner lebensgeschichtlichen Erzählung seine Krankheit und sein religiöser Glaube eng miteinander verbunden: BB: Das machen die Frau und ich jetzt seit 82. Das […] Kirchlein betreuen. Jawohl. Da bin ich halt einmal am Tag mindestens. […] die Betreuung, ja, hat man ein bisschen was zutun. Aber ich hab einen guten Draht zur Mutter Gottes, darf ich sagen. Ich hab die Handynummer von der Mutter Gottes und kann rund um die Uhr anrufen und sie ist zur Stelle. […] Ja, das hab ich. [hus- tet] Wann ist das gewesen? 1990 hab ich ein bisschen Probleme bekommen und im 2000 … so war’s. Am 22. Dezember war ich beim Facharzt in Blu- denz. Das war damals der Doktor Meixner, Lungenfacharzt. Und dann hab ich dann die Weihnachtsbotschaft bekommen, „Herr BB, bösartiger Lungen- krebs.“ Das war am 22. Dezember 2000. Das war die Weihnachtsbotschaft. Dann am 2. Januar war ich schon am Gaisbühel zur sofortigen … einen Ter- min, unbedingt. 14 Tage Gaisbühel. Und dann eine Woche … dann Kranken- haus Feldkirch und am 24. Jänner 2001 operieren. Jetzt hab ich halt noch … 70 Prozent von der Lunge hat man rausnehmen müssen. Seitdem geht’s. […] I: Und Sie können noch alles machen? BB: Ja, halt ein bisschen sachte. Wenn ich laufen gehe … am Samstag bin ich den Golm hinaufgefahren und bin zurück ins Rellstal. Ging wunderbar. Schön langsam, aber es geht wunderbar. Ja, das ist der gute Draht. Und ich betreue jetzt eben die Kirche. Das hat was Reinigendes. Ja. In BBs Erzählung wirken weder die Diagnose des „bösartigen Lungenkrebs“ retro- spektiv als ein schockierendes Ereignis für den Erzähler, noch seine Krankheit oder der Weg zur Gesundung als sehr schmerzhaft. BB fühlt sich in seinem Glauben bei der „Mutter Gottes“, deren Handynummer er zu haben angibt, aufgehoben und beschützt. Er verknüpft erzählerisch die Betreuung einer Kapelle direkt mit seinem Krebsleiden und stellt indirekt seine Gesundung auch als eigenes Verdienst seiner Bemühungen um die Kapelle und den Glauben dar. Nach dem Motto „eine Hand wäscht die andere“ stellt sich BB in seiner Erzählung nicht als benachteiligt oder als Opfer dar, sondern als Mann mit „Verbindungen“, auf die er sich verlassen könne. In BBs Darstellung wird darüber hinaus deutlich, dass Krankheiten mitunter eine epochengenerierende lebensgeschichtliche Erfahrung darstellen können, teils weil die Erfahrung der Krankheit eine persönliche Grenzsituation darstellt, teils weil sie das Leben in der biografischen Erzählung in zwei deutlich voneinander
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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