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412 FU ♂, geboren 1925:
FU: Dann haben wir „gspiglat“518 hat man gesagt. „Gspiglat“, oder? [lacht] Im
Frühling auf jeden Baum, da sind noch viel mehr Bäume gewesen als wie man
heute hat. Und da haben die Leute viel mehr Bäume gehabt, viel mehr, wie sie
heute haben. Muss ich ehrlich sagen. […] Im Dezember hat man dann gesagt:
„Allerheiligen vorbei, Spiglerei herbei“, gell. […] Oft einmal sind auf den Bäu-
men oben entweder noch ein paar Äpfel gewesen oder ein paar Birnen. Dann
hat man sie dann halt einfach herunter, als Schüler, gell. Herunter gestohlen.
Man hat sie ja gestohlen, oder? [lacht] Und dann hat man eben gesagt: „Spig-
lerei“, „d’Spiglerei“. Oder, oft einmal sind noch im Winter gewesen, gefrorene.
Dann hat man sie auch gefroren gegessen, immer. Mein Gott und Vater. Hei
Jessas Maria. Nein, nein. Heutzutags erleben die Leute nichts mehr.
DW ♂, geboren 1934:
DW: Da war halt jedes Jahr ein Kind. Und für die Frau war das auch nicht
einfach im ersten Krieg. Da sagen wir auch oft, was diese Frauen mitgemacht
haben! Daheim eine Landwirtschaft. Einen Haufen Kinder. Verwöhnt sind
die nicht worden, wie heute. Aber darum ist auch vielleicht was anderes dar-
aus geworden. Ich frag mich nur, was in 20 Jahren ist, wie heute die Kinder
verwöhnt werden. Das wirkt sich ja erst später aus. Aber das kommt erst,
wenn die Kinder 20 Jahre alt sind. Also das kann nicht gut sein, ganz sicher
nicht. Die sind nicht mehr zufrieden.
KP ♂, geboren 1929:
KP: Mein Gott, mein Vater, das ist einfach eine Zeit gewesen. Da hast du dich
gefreut, wenn du etwas … Heute freut man sich ja nicht mehr. Heute kauft
man einfach Sachen. „Ja, das hab ich jetzt“. Früher hast du dir das ersparen
müssen. […] Also, gut, wir sind ja ein Wohlfahrtsstaat, heißen wir. Aber ist
das nicht eine Schande, dass ein Mann allein nicht im Stand ist eine Familie
zu ernähren? Das ist eine Schande. Soviel sollte man verdienen, dass die Frau
bei den Kindern daheim bleiben kann! Ich hab immer gesagt, also ich könnt
das nicht machen, bei den Kindern fremde Leute oder was weiß ich. Heute
werden sie ja nur abgeschoben. Das eine oder die zwei die sie noch haben.
Mehr haben sie ja eh nicht mehr. Das ist ein System das mir nicht gefällt. Aber
[lacht] das hat ja nichts zu sagen, ob mir das gefällt oder nicht [lacht].
HH ♂, geboren 1930:
HH: Beim Projektieren erstens schon, wir waren angezogen immer in wei-
518 Gspigl: viele kleine Äpfel, die nach der Ernte auf dem Baum geblieben sind.
spigla: (unerlaubtes) Abernten der hängengebliebenen Äpfel, zumeist durch Kinder.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Titel
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Untertitel
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Verlag
- StudienVerlag
- Ort
- Innsbruck
- Datum
- 2013
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 15.8 x 23.4 cm
- Seiten
- 464
- Schlagwörter
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Kategorie
- Geographie, Land und Leute
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439