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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Seite - 423 -
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423 von Erzählstoffen wird vor allem vor dem Hintergrund ihres Unterhaltungswertes ausgewählt, dazu zählen insbesondere Lausbuben- und Schulgeschichten, sowie Schmuggler- oder Wilderergeschichten. Drittens verfolgen die allermeisten Geschichten den Zweck der Selbstdarstel- lung der ErzählerInnen. Vor allem in jenen Erzählungen, in denen die Zeitzeu- gInnen selbst eine zentrale Rolle spielen, rücken sie die eigene Person stets in ein gewisses Licht – sei es jenes einer fleißigen, arbeitsamen Pflichterfüllerin, sei es jenes der klugen, kritischen, zurückhaltenden Stimme oder auch das eines muti- gen Draufgängers. Gerade bei den oben erwähnten Lausbuben-, Schmuggler- und Wilderergeschichten, aber auch bei den Erzählungen von Krieg, Desertion oder der beruflichen Karriere bemühen sich die ErzählerInnen immer um eine entspre- chende Inszenierung der eigenen Person. Viertens prägt die (vermutete) Erwartungshaltung des Gegenübers im Inter- view die Auswahl der Erzählstoffe. So ist festzustellen, dass die ZeitzeugInnen über weite Strecken vor allem von jenen Themenbereichen berichten, die sie als typisch erachten: typisch für die Region Montafon, typisch für die jeweilige Zeit, typisch für die eigene Familie. Erzählungen von Andersartigkeit oder Ausnahmesituati- onen sind selten. Die ErzählerInnen bemühen sich in ihrer ZeitzeugInnen-Rolle einerseits um größtmögliche Repräsentativität ihrer Aussagen und zeichnen damit ein konstruiertes Bild der Region, des 20. Jahrhunderts, ihrer Biografie. Dass sich die ErzählerInnen manchmal bemühen, die Ausnahme von der Regel oder das Untypische aufzuzeigen, ist schließlich zentraler Bestandteil des Bewertungssche- mas „Typisch-Untypisch“, „Eigen-Fremd“, „Normal-Außerordentlich“. Erzählstoffe, die einen besonders hohen Stellenwert für die ErzählerInnen haben, manifestieren sich mitunter als Leitlinien, die die lebensgeschichtlichen Darstel- lungen über weite Strecken hin strukturieren. So erweisen sich etwa Erzählungen vom Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft häufig als Leitlinien in den biografischen Erzählungen, wenn beispielsweise der Wandel in der landwirtschaft- lichen Arbeitsweise oder die Veränderung der Kulturlandschaft angesprochen werden. Das positive Äquivalent zur Leitlinie vom Niedergang der Berglandwirt- schaft ist der Erzählstoff der Modernisierung bzw. Technisierung der traditionel- len Lebensweise. Auch dieser Erzählstoff hat in vielen Darstellungen den Stellen- wert einer Leitlinie. Ein konkretes Beispiel hierfür sind erzählerische Leitlinien, die die Anschaffung von elektrischen Haushaltsgeräten, Fahrzeugen oder ande- ren Konsumgütern zum Inhalt haben. Lohn-Preis-Leitlinien schließlich stellen die Entwicklung der finanziellen Abgeltung von Leistung in den Vordergrund, nicht selten werden Löhne mithilfe ihres Einkaufsgegenwerts verbildlicht, wenn etwa aufgezeigt wird, was man sich zu welcher Zeit jeweils für seinen Monatslohn leisten konnte. Weitere wichtige Leitlinien sind beispielsweise Erzählungen von Urlaubsreisen, aber auch Behinderungen oder Krankheiten können individuelle Leitlinien darstellen. Die wichtigsten Leitlinien lebensgeschichtlicher Erzählungen allerdings sind das Thema Wandel im 20. Jahrhundert einerseits und der Erzähl- stoff der Arbeit und Arbeitsamkeit andererseits. Auf diese beiden Erzählstoffe soll nachfolgend nochmals detaillierter eingegangen werden.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Titel
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Untertitel
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Verlag
StudienVerlag
Ort
Innsbruck
Datum
2013
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
Abmessungen
15.8 x 23.4 cm
Seiten
464
Schlagwörter
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Kategorie
Geographie, Land und Leute

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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