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rung, auch in der Wirtschaft die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Liebe
zum Zuge kommen zu lassen.393
Genau diesen Aspekt befürwortete Othmar Spann nicht.394 Hier lag denn
auch der entscheidende Unterschied zwischen Universalismus und Soli-
darismus: Zwar betrachteten beide die Gesellschaft als Organismus, aber
für den Universalismus hatte die größere Gemeinschaft (Staat) Vorrang
vor kleineren Einheiten (Stände). Der Solidarismus begriff dieses Verhält-
nis umgekehrt, nämlich das Ganze als Zusammenschluss, allerdings nicht
Summe der Teile, wodurch das Einzelne eine Werterhöhung erfahre.395 Au-
ßerdem reduzierte er den Begriff „Stand“ nicht auf die rein geistige Gemein-
schaft, sondern verstand darunter auch ein Gebilde im Gesellschaftsleben,
das eine ökonomische Grundlage habe.396 Dieser Auffassungsunterschied
wurde 1932 in der SZ thematisiert: Herausgeber Josef Eberle identifizierte
das Blatt zwar nicht mit Spanns Schule, erklärte aber, einem Denker Ge-
rechtigkeit widerfahren lassen zu wollen, der wegen seines politischen Kon-
servatismus oft missverstanden werde.397
Karl Lugmayer setzte den Akzent auf die Parallelen zwischen Spann und
Pesch: Beide strebten auf unterschiedlichen Wegen nach demselben Ziel, der
Jesuit auf aristotelisch-thomistischer Basis „Steinchen um Steinchen“ zu-
sammentragend, der Wirtschaftsprofessor in platonisch-augustinischer Ma-
nier alles aus dem Ganzen heraus empfindend.398
3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen
Sozialtheoretiker
Als wichtige Quelle der Maiverfassung gilt die am 15. Mai 1931 veröf-
fentlichte Enzyklika QA Papst Pius’ XI.399 Der Name bezieht sich auf den
vierzigsten Jahrestag der Veröffentlichung von RN.400 Dem scholastischen
Gedanken der Ordnung als „Einheit in wohlgegliederter Vielheit“ verpflich-
393 NR 17. 4. 1926 (J. messner).
394 busshoff, Berufsständisches Gedankengut, 459; diamant, Katholiken, 123; sieGfried, Uni-
versalismus, 138 f.
395 beyer, Ständeideologien, 125–129; bohn, Ständestaatskonzepte, 52; meyer, Stand, 220 f.;
nothelle-wildfeuer, Die Sozialprinzipien, 145 f.; A. rauscher, Die soziale Natur, 28.
396 P. nolte, Die Ordnung, 182.
397 SZ 22. 5. 1932 (J. eberle).
398 K. luGmayer, Grundrisse, 133.
399 ebner, Politische Katholizismen, 173; G. KlemPerer, Konzepte, 54.
400 anZenbacher, Christliche Sozialethik, 144–149; hättich, Wirtschaftsordnung, 170–178;
LThK/III 9 (2000), 763–765 (K. hilPert); roos, Die Sozialenzykliken, 126 f.
3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN96
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580