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„Serva ordinem et ordo servabit te!“
Antiker Sinnspruch
9. RESÜMEE: STATUS IST ORDO
In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts unternahm auch in Österreich
eine vom Ersten Weltkrieg traumatisierte Generation den Versuch, der par-
lamentarischen Demokratie, die sich nicht bewährt habe, mit einem berufs-
ständisch-autoritären System ein Korrektiv entgegenzusetzen. Die bereits
in der Monarchie zutage getretenen Missstände des Parlamentarismus, vor
allem aber die revolutionären Ereignisse von 1918 galten als Beweis für das
Versagen des Gesellschaftsvertrags und riefen Vorbehalte gegen alles wach,
was mit diesem bzw. mit der Französischen Revolution seinen Anfang ge-
nommen hatte, insbesondere gegen vermeintlich schrankenlosen Liberalis-
mus und den Kult des Individuums. In den Gedanken vieler Zeitgenossen
schwang sich auch der Kommunismus als drohendes Szenario empor. Die
politische Entwicklung im Deutschen Reich lenkte den Blick sodann auf den
Nationalsozialismus. Einen gemeinsamen Nenner für beide Ideologien fand
man im Totalitarismus. Die Wirtschaftskrise verlieh derlei besorgt-kriti-
schen Einstellungen zusätzliche Stoßkraft.
Am 1. Mai 1934 wurde eine Verfassung verlautbart, die sich auf das 1931
veröffentlichte päpstliche Rundschreiben QA berief – seinem Geist, näm-
lich ein Modell für die Gesellschaft, nicht für den Staat zu entwerfen, aller-
dings widersprach. Die politische Umsetzung der darin festgeschriebenen
Grundsätze gelang denn auch nicht, nicht nur wegen des sogenannten „An-
schlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich am 13. März 1938, sondern
auch weil das Konzept „Ständestaat“ insgesamt diffus war, weil sich die als
Berufsstände konzipierten Stände weder, wie es die Theorie wollte, „natür-
lich“ entwickelten noch in gezielten Versuchen berufsständischen „Aufbaus“
eingerichtet werden konnten: Der Beruf, so zeigte sich, war nicht geeignet,
eine auf Letztwerte bedachte Gemeinschaft zu begründen. Ist heute von der
„Maiverfassung“ die Rede, so werden vornehmlich die autoritären Erschei-
nungsformen der durch sie begründeten Herrschaft akzentuiert – in der gel-
tenden, in weiten Teilen linksliberal geprägten Meistererzählung durchwegs
kritisch, wenn nicht nachgerade richtend.
Die Diskrepanz zwischen dem hohen für den ständischen Aufbau betrie-
benen Aufwand und dem bescheidenen Ergebnis stellte die Frage in den
Raum, ob sich die Bedeutung des Begriffes „Stand“ in den dreißiger Jah-
ren denn tatsächlich in „Berufsstand“ erschöpfte. Dieses Thema ist bislang
nicht zum Gegenstand wissenschaftlicher Analyse geworden, auch nicht
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580