Seite - 287 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 287 -
Text der Seite - 287 -
1933 den sogenannten Glöckel-Erlass von 1919 aufhob, dem zufolge es kei-
nen Zwang zur Teilnahme an religiösen Übungen geben dürfe.756 Es erübrigt
sich zu erwähnen, dass katholische Privatschulen im Ständestaat sehr geför-
dert wurden.757
Auch dessen zentrale Symbole, allen voran das an die Kreuzzüge erin-
nernde Kruckenkreuz (Jerusalemkreuz) der Staatsflagge758, haben in seiner
religiösen Basis ihren Ursprung. Die theoretische Begründung lieferte Kon-
rad Josef Heilig.759
5.7 Legitimität versus Legalität
Personalismus und Legitimismus
Eine Kategorie, in der das Personalitätsprinzip in besonderem Maß zum
Tragen kommt, ist die Legitimität: Durch sie werde „die Loyalität von Perso-
nen in Anspruch genommen“760, die Rechtmäßigkeit bloßer Gesetzmäßigkeit,
Moral dem Recht übergeordnet und das Prinzip der Billigkeit gewahrt.761
Überträgt man diesen Gedanken auf die Wirtschaft, so überrascht es nicht
zu erfahren, dass Otto von Habsburg nach 1945 in der Gesellschaft des Mont
Pelerin (Schweiz) in Kontakt mit Wilhelm Röpke stand.762 Entsprechend
groß war das Gewicht des Legitimismus in Österreich in den Jahren 1933–
1938.763
Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte Franz Martin Schindler in sei-
nem Lehrbuch der Moraltheologie den Begriff des Legitimen thematisiert.
Zugrunde lag das Bild der bürgerlichen Gemeinschaft als Vereinigung der
Familienoberhäupter, von denen eines oder mehrere aufgrund besonderer
Eigenschaften oder Fähigkeiten stillschweigend als Regenten anerkannt
worden seien. Daher sei es möglich, dass diesen „die Leitung und Führung
des Gemeinwesens faktisch so zufällt, dass durch sie allein dieselbe unter
den gegebenen Umständen wirksam möglich ist“. Der legitime und verfas-
sungsmäßige Besitz der Gewalt bedinge einen Rechtsanspruch des Trägers
756 Gober, Schule, 74; Kucher, Staatsbürgerliche Erziehung, 248; sorGo, Schulpolitik, 146.
757 schretter, Das ideologische Nahverhältnis, 63–70.
758 Kriechbaumer, Erzählungen, 145; steiner, Wahre Demokratie?, 212 f.
759 JuffinGer, Politischer Katholizismus, 39,
760 sPaemann, Personen, 207.
761 Diese Aspekte unterstrich der Kirchenrechtler Willibald Plöchl, der selbst Legitimist war;
neuhäuser, Legitimismus, 4; vgl. LK, 349 (H. Chr. Kraus).
762 baier/demmerle, Otto von Habsburg, 251.
763 stimmer, Eliten, 752–755; thaler, Legitimismus, 69.
5.7 LEGITIMITÄT VERSUS LEGALITÄT 287
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580