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mus/Liberalismus und Kollektivismus/Sozialismus außer Kraft gesetzt sei.11
Diese Zeiterscheinungen wurden in engem Zusammenhang gesehen.12 Ihr
Versagen wurde als Versagen der Demokratie gedeutet, kam allerdings auch
faschistischen Systemen zugute.13
4.1 Das „Erbe“ von 1789: Die Französische Revolution als „Urgrund“
von Individualismus, Liberalismus, Kapitalismus und Marxismus
Mit der Französischen Revolution, so der in den zwanziger und dreißiger
Jahren in konservativen Kreisen gängige Tenor, habe der nach 1918 als „De-
mokratisierungsschub“14 in Erscheinung getretene gesellschaftliche Wandel
eingesetzt.15 Nicht minder ausgeprägt als die Zweifel an den Ergebnissen
von 1789 war die Ablehnung des Nationalsozialismus. Beide Phänomene
wurden als in der Tiefenstruktur miteinander verwandt empfunden. Unge-
achtet aller Unterschiede im Einzelnen dominierte die Angst vor grundle-
genden Umwälzungen, die viele Zeitgenossen in die Defensive drängte und
ihrer Verständigungsbereitschaft wenig zuträglich war.16 Othmar Spann
sah im Umfeld von 1789 einen Bruch im sozialen Ordnungsdenken.17 Franz
Brandl sprach von einem „Dammbruch“, der sich in der Russischen Revo-
lution wiederholt habe: Derlei „reine Naturereignisse“ gelte es nach Kräf-
ten abzuwehren.18 Karl M. Stepan zeigte Verständnis dafür, dass sich Men-
schen, die die Französische Revolution erlebt hätten, mit dem Gedanken
nicht anfreunden könnten, dass alle ohne Rücksicht auf Fähigkeit, Gesin-
nung und Leistung gleichen Anteil an der Gestaltung des öffentlichen Le-
bens haben sollten; auch seien zu viele Verbrechen im Namen des Volks
begangen worden.19 Otto M. Karpfen glaubte zu wissen, warum: „Die Demo-
kratie von 1789 hatte den Völkern etwas Großes versprochen und es nicht
gehalten.“20
11 moth, Neu-Österreich, 85; vgl. busshoff, Dollfuß-Regime, 12.
12 becher, Der Blick, 117 f.; buKoscheGG, Das ständisch-autoritäre Österreich, 75 f.; bushoff,
Dollfuß-Regime, 166; diamant, Katholiken, 122; GauGer, Gemeinwohl, 93; Paxton, Anato-
mie, 40; resele, Ständestaatskonzeption, 30; A. M. weiss, Individuum, 5–8.
13 Paxton, Anatomie, 51–53.
14 PelinKa, Die politische Theorie, 15.
15 hanisch, Der lange Schatten, 310; heidenreich, Politische Theorien, 9 f.; vocelKa, Gegen-
kräfte, 128.
16 hanisch, Konservatives und revolutionäres Denken, 25; senft, Glanz, 15.
17 sPann, Der wahre Staat, 81; vgl. Pichler, Werk, 76.
18 brandl, Staatsprozesse, 439.
19 stePan, Stückwerk, 15 f.
20 CS 16. 9. 1934 (O. M. fidelis). 4. DIE POLITISCH-GESELLSCHAFTLICHE
LAGE182
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580