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ren Staaten setzten sich, wenn auch mit Unterschieden, autoritäre Systeme
durch.6 In Österreich stand dahinter das Bestreben, Widerstand gegen das
nationalsozialistische Regime in Deutschland zu leisten.7 Es gab Zeitgenos-
sen, die „tiefe innere Kräfte des Widerstands“ geradezu als Wesensmerkmal
österreichischer Lebensform betrachteten, ohne die eine der essenziellen
Voraussetzungen des Ständestaates nicht vorhanden gewesen wäre.8 Die-
ser Widerstand war ein in erster Linie geistiger, wie ausführlich zu begrün-
den sein wird: Aus diesem Grund fanden auch katholisch-konservative
Emigranten aus Deutschland in Österreich „eine gleichsam kongeniale
Existenz- und Operationsbasis“ (E. Seefried).9 Dieses Land war zwar au-
toritär, auch nicht demokratisch nach heutigem Verständnis, aber es war
nicht totalitär; Österreich blieb ein „Normenstaat“ (K. D. Bracher).10 Wer
das Denken der politischen Protagonisten der Zwischenkriegszeit aus dem
katholisch-konservativen Lager genauer analysiert, insbesondere jener, die
im Ständestaat der Regierung am nächsten standen, wird nachgerade die
Negierung jeglichen totalitären Ansatzes konstatieren müssen. Das in Ös-
terreich entwickelte antiparlamentarisch-ständische Modell steht in einer
weit zurückreichenden Tradition; es war einer auf menschliche Grundbe-
findlichkeiten rekurrierenden Ideenwelt verpflichtet, der der Charakter
einer Utopie11 bescheinigt werden kann.
1.1 Die geltende Meistererzählung – und was sie offen lässt
Die wissenschaftliche Literatur über die Jahre 1933–1938 ist kaum noch
überschaubar. Im Folgenden soll kein Forschungsbericht erfolgen: Es genügt
die Nennung jener wissenschaftlichen Marksteine, aus denen die Fragestel-
lungen sichtbar werden und die den derzeitigen Kenntnisstand umreißen.
Die Aufmerksamkeit gilt zunächst den Spezialstudien, sodann der Berück-
sichtigung dieses Zeitraums in zeitgeschichtlichen Handbüchern bzw. Über-
blicksdarstellungen, schließlich den Formulierungen, für die sich die Auto-
6 bohn, Ständestaatskonzepte, 2 und 13; botZ, Gewalt, 245; bracher, Nationalsozialismus,
12–18; newman, Zerstörung, 299; novotny, Der berufsständische Gedanke, 214 f.; oberlän-
der, Autoritäre Regime; Payne, Geschichte, 302–355; reichhold, Kampf, 370–373; simo-
nett, Die berufsständische Ordnung, 63–66.
7 Kindermann, Österreich, 21 und 83; kritisch binder, „Austrofaschismus“, 583; polemisch
dreidemy, Der Dollfuß-Mythos, 246 f.
8 thun-hohenstein, Österreichische Lebensform, 8.
9 seefried, Reich, 13.
10 bracher, Nationalsozialismus, 9; seefried, Reich, 38–44.
11 saaGe, Der zerstörte Traum?, 22. 1. DAS
ERKENNTNISINTERESSE20
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580