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und Schriften sich äußernden Protest, der seinen Ideen zum Durchbruch
verhelfen und die Demokratie herbeiführen sollte.486 Den Mord an Bundes-
kanzler Dollfuß am 25. Juli wertete er als Beweis für seine These, die Re-
gierung habe einen verhängnisvollen Zweifrontenkrieg geführt.487 Während
Dollfuß ihn noch geschützt, ja am Ende seines Lebens aktiv mit ihm zusam-
mengearbeitet hatte, versagte ihm Kurt Schuschnigg die Unterstützung.488
Nach dem Juliabkommen von 1936 trat Winter mit besonderem Engage-
ment für ein schon länger gehegtes Ideal ein, nämlich eine „Sozialmonar-
chie“ mit Otto von Habsburg als Kaiser.489 1938 emigrierte er in die USA; in
den frühen fünfziger Jahren kehrte er nach Österreich zurück.490
3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien
Dass in der Heimwehr Einflüsse aus dem faschistischen Italien zum Tra-
gen kamen, wurde bereits erwähnt.491 Nicht zu leugnen sind auch gewisse
äußerliche Ähnlichkeiten zwischen dem autoritären Österreich und dem
faschistischen Italien und Sympathien einzelner Personen für den Faschis-
mus.492 Gleichwohl ist die österreichische Politik insgesamt nicht dem Wil-
len zuzuschreiben, das italienische Modell zu kopieren493: Vieles war einfach
dem „Taumel der dreißiger Jahre“ (St. Payne)494 geschuldet. An den Heim-
wehrführern stellten italienische Diplomaten eine in ihren Augen zu große
Kompromissbereitschaft fest, ja nannten sie „gemütlich“.495 Selbst die links-
liberale Forschung räumt ein, dass Dollfuß häufig eher einseitig mit profa-
schistischen Aussagen zitiert wird und dass Mussolini der aktivere Partner
486 GöhrinG/Pellar, Anpassung, 109–116; heinZ, E. K. Winter, 342 f.; orGler, Ständestaat, 145
f.; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 114–118; seliGer, Scheinparlamentarismus, 401;
tálos, Herrschaftssystem (2013), 345–348; O. weiss, Rechtskatholizismus, 25.
487 heinZ, E. K. Winter, 199.
488 P. berGer, Kurze Geschichte, 178; GoldinGer/binder, Geschichte, 254; mommsen, Theorie,
185; schmit, Christliche Arbeiterbewegung, 115, Anm. 75; waltersKirchen, Dollfuß, 224
und 228–230.
489 bader, Ernst Karl Winter, 368; buchmayr, Der Priester, 108; JedlicKa, Vom alten, 233;
marKo, Ernst Karl Winters Kritik, 129.
490 bader, Ernst Karl Winter, 370–373.
491 bracher, Nationalsozialismus, 10; JedlicKa, Österreich, 52; woller, Rom, 80 f.
492 Kusstatscher-oberKofler, Beziehungen, 223 f.; eher oberflächlich bleibt trotz konstrukti-
ver Ansätze die Analyse von mittelmeier, Austrofaschismus, 92–104.
493 friedl, Zusatzprotokolle, 67 f.; Kindermann, Hitlers Niederlage, 117; schmölZer, Beziehun-
gen, 262.
494 Payne, Geschichte, 29–32.
495 colotti, Fascismo, 325 und 330.
3.5 DIE NACHBARSCHAFT DES FASCHISTISCHEN ITALIEN 105
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580