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Guido Zernatto bezeichnete die berufsständische Ordnung als „eine(n) der
interessantesten Versuche zur Neuordnung der Gesellschaft“.18
7.2 Die christlich-soziale „Gesellschaftsreform“ aus der Sicht der
Mandatare
Bei einigen Mandataren ist eine intensive Auseinandersetzung mit den The-
oretikern der christlichen Gesellschaftsreform (Kap. 3.3) festzustellen. Fried-
rich Funder nahm regelmäßig an den „Entenabenden“ teil.19 Die darüber ver-
fassten Berichte sind Abbild seines eigenen Denkens über gesellschaftliche
Fragen. Eine zentrale Kategorie war dabei der Begriff „organisch“, für ihn
– wie für viele andere Verfechter des im Ständestaat verwirklichten alterna-
tiven Modells im Geist christlicher Solidarität – synonym mit „von unten“.20
Die Grundlagen hatte Funder bei Franz Martin Schindler erläutert ge-
funden21, von dem er eine bis heute als maßgeblich anerkannte Biographie
verfasste.22 Mit der Union de Fribourg d’études sociales économiques, die sich
dem Abbau von Klassengegensätzen und Klassenhass widmete und einen
standesgemäßen Lebensunterhalt für jedermann forderte, pflegte er eine in-
tensive Zusammenarbeit.23
In den zwanziger Jahren verband Funder eine enge Freundschaft mit
Ignaz Seipel.24 Einer im Herbst 1931 beim Landesparteitag der steirischen
Christlichsozialen von diesem gehaltenen Rede über Wesen und Tragweite
der berufsständischen Ordnung bescheinigte er eine „grandiose Sinndeu-
tung“.25 Seither machte er die berufsständische Ordnung in der Reichspost
häufig zum Thema.26 Es erübrigt sich zu bemerken, dass die Enzykliken RN
und QA seinen uneingeschränkten Beifall fanden.27
Karl Lugmayer widmete sich der systematischen Analyse der Schriften
der Hauptvertreter der katholischen Soziallehre, auch außerhalb des deut-
18 Zernatto, Die Wahrheit, 115–117.
19 funder, Aufbruch, 63; vgl. senft, Im Vorfeld, 73; G. hartmann, Im Gestern, 198.
20 funder, Sturm, 197; vgl. bohn, Ständestaatskonzepte, 16; huebmer, Dr. Otto Ender, 183;
KrüGer, Demokratisches und ständisches Denken; lacKner, Die Ideologie, 66; PelinKa,
Stand, 184; rettenbacher, Bekenntnisfreiheit, 22.
21 funder, Vom Gestern, 91; reiss, Dr. Friedrich Funder, 183 f.
22 Pfarrhofer, Friedrich Funder, 246; vgl. auch funder, Vom Gestern, 104–112.
23 anZenbacher, Christliche Sozialethik, 138; funder, Aufbruch, 51 f.; simonett, Die berufs-
ständische Ordnung, 41–44; wohnout, Verfassungstheorie, 1 f.
24 reiss, Dr. Friedrich Funder, 118.
25 funder, Vom Gestern, 685.
26 Pfarrhofer, Friedrich Funder, 176.
27 funder, Aufbruch, 98; vgl. wandrusZKa, Struktur, 339.
7.2 DIE CHRISTLICH-SOZIALE „GESELLSCHAFTSREFORM“ AUS DER SICHT DER MANDATARE 437
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580