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nannte er einen „versöhnlich-behäbigen Ausdruck“. Gesellschaftliche Reali-
tät bescheinigte er indes nur der Klasse: „Dieselbe Lebensgemeinschaft, die
meinetwegen bestehen mag zwischen dem Großbauer und seinem Knecht,
wie weit besteht sie noch zwischen dem aristokratischen oder aus der rei-
chen Geschäftswelt hervorgegangenen Großgrundbesitzer und seinen Feld-
arbeitern? [...] Um wie viel näher steht aber nicht [...] ein großstädtischer
Hilfsarbeiter den Angehörigen seiner sozialen Kategorie, die in den verschie-
densten Industrien beschäftigt sind, als den Eigentümern und den hohen
Beamten ‚seines’ Betriebes und ‚seines’ Industriezweiges?“233
Exponenten der christlichen Arbeiterbewegung trugen dieser Realität
Rechnung, indem sie neben „Berufsstand“ allmählich auch wieder häufiger
von „Sozialstand“ sprachen: In der Diskussion über den Gewerkschaftsbund
(Kap. 7.5) wurden die beiden Begriffe geradezu gegeneinander ausgespielt;
manche hielten eine „sozialständische Rechtsgemeinschaft“ für eine Notwen-
digkeit.234
Eine andere Facette dieser Thematik hob der Präsident des Wiener Stadt-
schulrats hervor: In der Kultivierung des Standesbegriffs im Sinn der Mai-
verfassung, so Robert Krasser, lägen Gefahren für denselben, denn es sei
zu befürchten, dass es durch „Korporationsegoismus“ zu einer neuerlichen
Annäherung der Begriffe „Stand“ und „Klasse“ komme; „soziale Erziehung“
dürfe nicht „eine Neigung zur gefühlsmäßigen Solidaritätsverbundenheit mit
seinesgleichen hochzüchte(n)“; wenn sie die „Staatsgesinnung“ nicht gefähr-
den wolle.235 Es gab aber auch Pädagogen, die für diese Thematik kein Organ
hatten: Margarete Rada verwendete in ihrer sozialpädagogischen Studie über
Wiener Proletariermädchen ausschließlich den Begriff „Klasse“; über dessen
Abgrenzung zu „Stand“ scheint sie gar nicht nachgedacht zu haben.236
7.5 Probleme der berufsständischen Ordnung
Der Wille zum berufsständischen Aufbau
Nach dem Inkrafttreten der Maiverfassung war der Andrang nach eigenen
Berufsständen groß. So etwa meldeten Obst- und Weinbauern, Hausher-
ren, Mieter, Artisten, Komponisten und Musikverleger und Hausfrauen
den Wunsch nach eigenen Vertretungen an. Das Ansinnen der Hausherren
233 Kolnai, Ideologie, 15–17.
234 reichhold, Geschichte, 532 f.
235 Krasser, Ständestaat, 18.
236 rada, Proletariermädchen, 1 und 41. 7. DIE BERUFSSTÄNDISCHE
ORDNUNG458
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580