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8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand
Was die wissenschaftliche Analyse bei aller Offenheit für die konservative
Wertewelt nicht in Abrede stellen kann, blieb auch den loyalen Trägern des
Ständestaates nicht verborgen, nämlich dass das Autoritäre an diesem Sys-
tem die Ideale häufig zurücktreten hieß.
Insbesondere die Heimwehr fand keineswegs den Beifall aller führenden
Persönlichkeiten; große Vorbehalte hatten etwa Franz Rehrl316 oder Verfas-
sungsminister Otto Ender.317 Richard Kerschagl war zwar Mitglied, verwei-
gerte aber 1930 die Ablegung des Korneuburger Eides.318 Für Julius Raab
waren christlich motivierte Bedenken319 Anlass, 1930 die Niederösterreichi-
sche Heimwehr zu gründen; diese Sonderorganisation vereinigte sich 1932
aber wieder mit dem niederösterreichischen Heimatschutz.320 Carl Vaugoin
war ebenfalls kein Hardliner: Als er sich 1933 um Zusammenarbeit mit
dem Schutzbund bemühte, forderte die Heimwehr seine Ablösung als Hee-
resminister.321 Eduard von Baar-Baarenfels legte 1933 einen Plan vor, wie
der Heimatschutz ins Bundesheer integriert werden könnte.322 Josef Rei-
ther ging so weit, im Februar 1934 das Forderungsprogramm der Heimwehr
nicht anzunehmen.323 Ludwig Hülgerth, eine bedächtige, hoch angesehene
Persönlichkeit, war vielen Heimwehrführern zu weich und galt als Brem-
ser.324 Alois Schönburg-Hartenstein rechtfertigte den Wehrverband ledig-
lich als Bollwerk gegen den Marxismus.325 Rudolf Henz war der Ansicht, die
Heimwehr hätte „jede demokratische Willensbildung untergraben“.326 Alle
paramilitärischen Verbände waren für ihn der Beweis für das Versagen der
Demokratie.327
316 binder, Stepan/Dobretsberger, 16; H. dachs, Franz Rehrl, 241; hanisch, Franz Rehrl, 21;
stocK, „... nach Vorschlägen der Vaterländischen Front“, 20; wiltscheGG, Heimwehr, 28
und 148.
317 G. hartmann, Im Gestern, 328; wanner, Otto Ender, 164.
318 B. dachs, Richard Kerschagl, 34 f.
319 Kriechbaumer, Erzählungen, 575, 588 und 601.
320 Kriechbaumer, Dieses Österreich, 459.
321 wiltscheGG, Heimwehr, 149.
322 wiltscheGG, Heimwehr, 296; zu seiner Funktion in der Heimwehr vgl. aGstner/ender-
le-burcel/follner, Österreichs Spitzendiplomaten, 118.
323 wiltscheGG, Heimwehr, 81 und 130.
324 wiltscheGG, Heimwehr, 231 f.; wandrusZKa, Struktur, 361. Er war ein Gegner des von Wal-
ter Pfrimer initiierten Putschs im Jahr 1931; brandtner, Diskursverweigerung, 247 f.
325 holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 103.
326 henZ, Fügung, 222.
327 henZ, Fügung, 212. 8. STAAT UND
GESELLSCHAFT518
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580