Seite - 156 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 156 -
Text der Seite - 156 -
als zukunftsorientiertes Land lobte und als Vorbild für Österreich bezeich-
nete.903
3.6 Berufsständische Entwürfe
Die in den zwanziger Jahren in Österreich geführte politische Diskussion
war von tiefem Unbehagen am Parlamentarismus geleitet; so entstand die
Idee, einen Länder- und Ständerat einzuführen, um die Gesetzgebung zu
entpolitisieren.904 1917 und 1919 legte Paul Schrecker einschlägige Abhand-
lungen vor.905 Der Tiroler Michael Mayr, neben Hans Kelsen einer der Ar-
chitekten der Verfassung von 1920, sprach Ende 1918 eine berufsständische
Gliederung der Volksvertretung an.906 Auch Ignaz Seipel trat für die Errich-
tung einer ständischen Vertretung als zweite Kammer ein.907 Stellvertretend
für das höhere Beamtentum der Monarchie sei Hans Schlitter erwähnt, der
sich in den frühen zwanziger Jahren für eine Berufsvertretung anstelle des
Bundesrates aussprach.908 Die Großdeutsche Volkspartei sprach 1926 von
einer Wirtschaftskammer909; im selben Jahr wurde die Wirtschaftliche Stän-
devereinigung gegründet, 1931 die Ständeorganisation Österreich.910 1928
stellte auch der Landbund einen Antrag auf ein Ständeparlament.911
1929 forderte die Heimwehr eine ständische Verfassungsreform.912 Ein
von Walter Heinrich913 formulierter Entwurf wurde von Bundeskanzler Jo-
903 schmölZer, Beziehungen, 109.
904 hasiba, Der berufsständische Gedanke, 115; P. huemer, Entstehung, 605; Kraus, „Volksver-
treter“, 66 und 80; mimica, Rechtsphilosophische Probleme, 87–93; steiner, Wahre Demo-
kratie?, 196; tálos, Handbuch, 382–385 (E. tálos).
905 Bemerkungen zur Verfassungs-Reform in Österreich bzw. Für ein Ständehaus. Ein Vor-
schlag zu friedlicher Aufhebung der Klassengegensätze.
906 schober, Tirol, 38.
907 wohnout, Bürgerliche Regierungspartei, 196.
908 Kraler, Gott schütze Österreich, 813 f.
909 hasiba, Der berufsständische Gedanke, 112.
910 wiltscheGG, Heimwehr, 311.
911 auGustin, Bauernbünde, 25; hasiba, Der berufsständische Gedanke, 113; Kraus, „Volksver-
treter“, 63.
912 busshoff, Dollfuß-Regime, 235 f.; hasiba, Der berufsständische Gedanke, 109; P. huemer,
Entstehung, 602 f.; reichhold, Geschichte, 437; streitenberGer, Leitbild, 107.
913 Knoll, Das Ringen, 18; wohnout, Verfassungstheorie, 18–20; zu pädagogischen Zwecken
verfasste W. Heinrich 1957 das programmatische Werk Wirtschaft und Persönlichkeit, in
dem er Liberalismus, Kollektivismus, Marxismus und Zentralismus ablehnte; LK, 241 f. (F.
romiG); wandrusZKa, Struktur, 364; zur Verflechtung des Spann-Kreises mit der Heimwehr
vgl. mommsen, Theorie, 181. 3. DER POLITISCH-GEISTESGESCHICHTLICHE
RAHMEN156
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580