Seite - 498 - in „Berufsstand“ oder „Stand“? - Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
Bild der Seite - 498 -
Text der Seite - 498 -
den Vorteil des Subsidiaritätsprinzips darin, dass es dem Staat eine Ent-
lastung bringe, die eine sparsamere Verwaltung möglich mache.107 Dies
entspricht freilich keiner authentischen Auslegung der katholischen Sozial-
lehre, weil sich daraus die Gefahr ergeben könnte, das Subsidiaritätsprinzip
als ethische Maxime außer Kraft zu setzen oder auf organisationstechnische
Aspekte zu reduzieren.108
Das Subsidiaritätsprinzip reicht indes weiter, es betrifft nicht nur den
Staat, sondern jede Gemeinschaft.109 Der CS erläuterte, dass es bis auf die
untersten Ebenen, auch jenseits des rein Wirtschaftlichen, reichen sollte.110
Eduard Tomaschek sprach diesen Gedanken indirekt an, wenn er bemän-
gelte, dass Beamten des öffentlichen Dienstes, wenn überhaupt, erst in fort-
geschrittenem Alter verantwortungsvolle Positionen anvertraut würden
– nicht zum Vorteil ihres Arbeitsethos.111 Ludwig Adamovich wünschte für
die Bundesverwaltung, dass die zentralen Instanzen auf die oberste Leitung
und Aufsichtsführung beschränkt und von Entscheidungen in Einzelfällen
entlastet würden.112 Adolf Lenz bekannte sich zur Maxime minima non curat
praetor.113 Das gesellschaftliche Ideal kleiner Gruppen als Gegenmodell zum
zentralistischen Staat gehörte auch zum Gemeingut konservativ-liberaler
Theoretiker, die für das Subsidiaritätsprinzip einen möglichst umfassenden
Geltungsbereich wünschten.114
8.4 Föderalismus versus Zentralismus
Ähnlichem Denken entsprang das Bekenntnis zum Föderalismus.115 Im Be-
wusstsein, dass das Subsidiaritätsprinzip mehr bedeutete als Dezentrali-
sierung und Delegierung116, verwendete Wilhelm Taucher den Begriff fast
synonym mit „Ständeföderalismus“, den er dem Länderföderalismus an die
107 dobretsberGer, Vom Sinn, 41 und 56; vgl. beyer, Ständeideologien, 134; buGelniG, Der
Ständestaat, 71; dassel, Gegen Parteienstaat, 32 f.; H. schmitZ, Die berufsständische Ord-
nung, 5 f.; huber, Die Verfassung, 18; PelinKa, Stand, 192; unterrainer, Wirtschaftspolitik,
40; H. walter, Ständewesen, 279.
108 isensee, Subsidiarität, 135; mayer-tasch, Korporativismus, 73; nothelle-wildfeuer, Die
Sozialprinzipien, 160.
109 isensee, Subsidiarität, 165 f.
110 ebneth, Wochenschrift, 146.
111 tomascheK, Gewerkschaftliche Programmatik, 10.
112 adamovich, Handbuch, 54.
113 lenZ, Fürsorgebewegung, 842.
114 habermann, Das Maß, 17–19 und 35 f.
115 hättich, Wirtschaftsordnung, 36 und 42; lacKner, Die Ideologie, 68; senft, Im Vorfeld, 141.
116 Gabriel, Die Wurzeln, 18. 8. STAAT UND
GESELLSCHAFT498
„Berufsstand“ oder „Stand“?
Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Titel
- „Berufsstand“ oder „Stand“?
- Untertitel
- Ein politischer Schlüsselbegriff im Österreich der Zwischenkriegszeit
- Autor
- Erika Kustatscher
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln - Weimar
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20341-4
- Abmessungen
- 17.4 x 24.6 cm
- Seiten
- 682
- Schlagwörter
- Parlamentarische Demokratie, berufsständische Ordnung, Naturrecht, katholische Soziallehre, Personalismus, konservatives Denken, traditionale Herrschaft, autoritäre Herrschaft, Totalitarismus, Widerstand gegen den Nationalsozialismus, politische Utopie
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorwort 11
- Abkürzungen und Siglen 17
- 1. Das Erkenntnisinteresse 19
- 2. Zur Methode 45
- 3. Der politisch-geistesgeschichtliche Rahmen 59
- 3.1 Österreich 1918–1938 59
- 3.2 Geistige Anregungen aus den frühen zwanziger Jahren: Othmar Spann, Richard Nikolaus Coudenhove-Kalergi 84
- 3.3 Die „Gesellschaftsreform“ auf christlich-sozialer Grundlage 90
- 3.4 Die Enzyklika Quadragesimo anno und die katholischen Sozialtheoretiker 96
- 3.5 Die Nachbarschaft des faschistischen Italien 105
- 3.6 Berufsständische Entwürfe 156
- 3.8 Die Organe der Bundesgesetzgebung und ihre Besetzung 165
- 3.9 Die Maiverfassung in der Analyse kritischer Zeitgenossen 170
- 4. Die politisch-gesellschaftliche Lage in der Wahrnehmung bürgerlicher Kreise 181
- 5. Der Mensch ist Person 211
- 6. Standesbewusstsein 301
- 7. Die berufsständische Ordnung 435
- 8. Staat und Gesellschaft 487
- 8.1 Die Gesellschaft als Entfaltungsraum der Person 488
- 8. 2 Wesen, Aufgaben und Grenzen des Staates, Verhältnis zu den Ständen 490
- 8.3 Das Subsidiaritätsprinzip 494
- 8.4 Föderalismus versus Zentralismus 498
- 8.5 Das Autoritäre 503
- 8.6 Schul- und Volksbildung 511
- 8.7 Ständestaat und autoritäres System auf dem Prüfstand 518
- 9. Resümee: status ist ordo 527
- 10. Anhang 541
- 11. Quellen und Literatur 580