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Geographie, Land und Leute
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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94 Da fließt auch ein Bach, ein kleines Flüsschen. Und, wenn alles so still war, das Flüsschen plätscherte, auf der drüberen Seite regte sich ab und zu eine Kuh, die eine Glocke um hatte, und das war alles so still. Und irgendwo, da über dem Berg, da kam ganz, ganz langsam der Mond hoch. Das waren alles so wunderbare Erlebnisse. Und dann sind wir oft, wenn die großen Ferien kamen, dann war die Familie Doktor Beitl auch im Gauertal, da sind wir dann oft um halb elf oder noch später ein Stück gewandert, um den Sternen- himmel anzuschauen und die Berge zu dieser späten Stunde anzuschauen, zu bewundern. Ja, wenn man die Natur liebt, liebt man all das, was da drinnen ist. Der bereits aus dem vorhergehenden Interviewausschnitt bekannte OP beschreibt aus der Perspektive des Bauernkindes oder -jugendlichen, wie er sich an das Leben am Maisäß erinnert. Nur wenige Wochen lang waren die Häuser und Ställe voll besetzt von Mensch und Tier. OP erzählt von den langen Sommerabenden an denen alle beisammen saßen und beschreibt die putzig erscheinende Infrastruktur, aufgrund deren räumlicher Begrenztheit die Meisten schließlich im Heu schlafen mussten. UF hingegen war nie Teil einer bäuerlichen Arbeitsgemeinschaft am Maisäß, da sie aus Deutschland ins Montafon heiratete und den Maisäß der Familie ihres Mannes nie landwirtschaftlich nutzte. UFs Erinnerungen sind eher naturromanti- scher Art, sie beschreibt die Landschaft, das Plätschern des Baches oder das Auf- gehen des Mondes sowie auch nächtliche Spaziergänge gemeinsam mit der Familie Beitl. Dass UF den im Montafon sehr bekannten und geschätzten Volkskundler und Schriftsteller mit in ihre Darstellung einbezieht, verleiht der Erzählung ein bildungsbürgerliches Gepräge. In diesem Zusammenhang erscheint der Aufent- halt am Maisäß eher als Ort der Sommerfrische. UFs Erzählung wirkt literarischer und erhabener, nicht zuletzt wenn sie von der Liebe zur Natur spricht, während OPs Erzählungen unbefangen die Ausnahmezeit am Maisäß andeuten. Gemein ist beiden Darstellungen die Verklärung des Aufenthalts. Weder ist bei OP von der Arbeit die Rede, die auf dem Maisäß ebenfalls von früh bis spät geleistet werden musste, noch erwähnt UF im Rahmen ihrer Beschreibung der Zeit auf dem Mai- säß das schwierige Verhältnis zu ihrem Mann und dessen Familie, vor der sie sich ursprünglich auf den Maisäß geflüchtet hatte. Eine Idyllisierung der Erinnerungen ist allerdings in Bezug auf die Erzählungen über die traditionelle Landwirtschaft eher untypisch und stellt eine Ausnahme dar. Wird vom bäuerlichen Leben erzählt, stehen zumeist die harte Arbeit von klein auf bzw. die Arbeitsabläufe und -techniken im Vordergrund. Besonders häu- fig betonen die ErzählerInnen, dass man in ihrer Kindheit in der Landwirtschaft alle Arbeiten ohne maschinelle Unterstützung zu bewerkstelligen hatte. Der 1933 geborene CC berichtet: „Ja, da hat man halt alles von Hand machen müssen. Zeug tragen. Mist. Kartoffeln anrichten, Korn anrichten. Da hat man cirka einen Hektar hat man Kartoffeln angerichtet und einen Hektar hat man Korn gemacht. Weizen, Hafer und Gerste. Damit man im Winter Mehl gehabt hat.“ Sämtliche Arbeiten mit
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Subtitle
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Publisher
StudienVerlag
Location
Innsbruck
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
15.8 x 23.4 cm
Pages
464
Keywords
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Category
Geographie, Land und Leute

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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