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Eine deutliche Gegenüberstellung der Verkehrs-Verhältnisse früher und heute
formuliert der 1932 geborene WX im nachfolgenden Ausschnitt, in dem er eben-
falls seinen ersten Arbeitsweg, hier zum Lehrplatz von Partenen nach Bludenz,
beschreibt:
WX: Wenn ich dir sag, wie ich bei der Lehre mit dem Rad von Partenen nach
Bludenz gefahren bin, ich hab kein einziges Auto getroffen. Nicht eines. Das
kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Da trifft man alle fünf Minu-
ten in der Nacht, wenn man unterwegs ist, ein Auto.
WX spricht hier die Zunahme des Verkehrs im Tal an, die natürlich wie in vielen
Alpentälern auch im Montafon ein großes Thema für die Bevölkerung ist. Denn
einerseits stellt das zunehmende Verkehrsaufkommen eine große Belastung für die
Menschen dar, und andererseits ist diese Belastung der Preis, den sie für die dazu-
gewonnene Mobilität, den höheren Komfort und die wirtschaftliche Selbstständig-
keit bezahlen. Wie alle vorhergehenden Ausschnitte zum Thema Modernisierung
im Verkehr, ist auch bei WX eine kritische Haltung gegenüber dieser Veränderung
spürbar. Die Kritik an der Verkehrssituation ist repräsentativ für die Erzählungen
vieler anderer ZeitzeugInnen.
Neben dem Verkehr ist die Modernisierung im Bereich der Wasser- und sanitären
Anlagen im Haushalt ein weiteres wichtiges Thema für die ErzählerInnen. Sie soll
an dieser Stelle dem quantitativ viel umfangreicheren Themenfeld der Elektrifizie-
rung vorgezogen, allerdings nur anhand eines Ausschnittes angesprochen werden.
Wo es in den lebensgeschichtlichen Erzählungen zum Thema Wasser kommt, da
wird zumeist die Geschichte der Kanalisierung in der Gemeinde sowie die Reihen-
folge der Renovierung des eigenen Hauses wiedergegeben. Der 1930 geborene BB
stellt in seiner Erzählung die frühere Situation vor der Modernisierung durch die
Gemeinde 1951 dar:
I: Aber Sie haben schon fließend Wasser gehabt?
BB: Zuhause ja, wir haben in Obervens gewohnt. Und das mit dem Wasser
kam 1951. Da haben wir da in Obervens die Wasserversorgung erst [hustet]
bekommen. Bis 51 haben wir aus einem Naturbach da oben runter … da
gab’s eine Wassergenossenschaft, da gab’s einen Obmann. Und alle diejenigen
waren dann die Mitglieder von der Wassergenossenschaft und jemand wurde
immer beauftragt zum 14-Tage-Dienst. Oben ist das ein Bach und dann hat
man da ein Wasserfass aus Holz gemacht. Auf den Rundhölzern. Und da ist
dann das Wasser durchgesickert. Und im Herbst kam dann Laub, da mussten
wir dann öfters reinigen, damit überhaupt Wasser kam. Dann ging das Was-
ser durch, zum Teil noch Zementrollen, zum Teil Holzrohre, selbst angefertigt,
herunter ins Tal. Dann ging es … [lacht] Oben kam ein Landwirt, der ist mit
dem dem ganzen Vieh in den großen Holzbrunnentrog. Da ist unser Trink-
wasser durchgegangen. Dahinter kam ein kleinerer Zementtrog, wurde ein
Sieb drauf. Dann ist das weiter gegangen. In dem kleinen Trog hat ein Nach-
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439