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122 „Hoflampe“, betrieb. Die Vorreiterrolle des Vaters wird in der Begegnung mit dem
Feuerwehrmann herausgestrichen, der angesichts des nächtlichen Lichtscheins
Feuer am Hof vermutete. Diese Anekdote, im Rahmen derer der Feuerwehrmann
als naiv dargestellt wird, verleiht dem Ausschnitt Unterhaltungswert.
EV hingegen, deren Familie mit einem Stromanschluss 1917 ebenfalls zu den
ersten mit elektrischem Licht zählte, betont die großen Kosten, die ein Anschluss
anfänglich verursachte und dass aus diesem Grund nur die wenigsten Häuser an
das Stromnetz angeschlossen werden konnten. In diesem Zusammenhang lässt die
Bemerkung „Wir haben’s auch ziemlich bald“ den Stolz auf die finanzielle Situation
der Familie erkennen. EVs Erzählung schließt mit einem Wechsel der Perspek-
tive, die das Ereignis des ersten elektrischen Lichts so besser erfahrbar macht: Sie
spricht vom Licht als einem „Fest für Kinder“.
XX schließlich nimmt in ihrer Erzählung die Position einer Außenstehenden
ein, da ihre Familie zunächst kein elektrisches Licht hatte. XX erinnert sich vor
allem an die Erzählungen eines Mädchens vom „Licht auf Knopfdruck“ bei sich
daheim, die unter den anderen Kindern zunächst auf Unglauben stießen.
Alle drei Erzählungen versuchen auf unterschiedliche Weise das Großereignis
des ersten elektrischen Lichtes im Tal oder auch im Haus der Eltern möglichst
anschaulich zu vermitteln – was ihnen offenbar nicht schwerfällt, da sie trotz der
90 Jahre, die zwischen dem Ereignis und dem Interview lagen, sogar und ganz
besonders die Reaktionen anderer Menschen im Umfeld rekonstruieren können.
Einen anderen Aspekt der Elektrifizierung spricht BB, vor allem zum Zwecke der
Unterhaltung, in seiner lebensgeschichtlichen Erzählung an. Der 1930 geborene
Erzähler schildert die Praxis der Stromleitungen in den 1940er und 1950er Jahren
am Beispiel eines Unfalls, den er mit viel Glück überlebte:
BB: [lacht] Etwas kommt mir da noch in den Sinn. Unser Stall ist ein biss-
chen gedrängt gewesen und damals ging noch die Freileitung, zwei Drähte
ins Haus.
I: Freileitung?
BB: Elektro. Vom Stall zum Haus oder umgekehrt. Und dann haben wir das
Flachdach oder ein Schrägdach war’s zwischen dem Haus und dem Stall. Das
war vor dem Stall, wo man das Vieh herausgelassen hat zum Tränken. Das
war so ein schräges Dach. Und es hat Schnee gehabt. Unmengen sicher, bald
ein Meter. Und wir haben da mit der Schaufel auf dem Dach den Schnee
geräumt. Und ich habe versucht … da sind ja die Leitungen durch. Und bei
einem Draht macht’s ja nichts und da hab ich da natürlich versucht den zwei-
ten … und dann bin ich in den Stromkreis gekommen.
I: [erschrocken] Aha.
BB: Der Nachbar hat mich versucht von den Drähten herunterzuholen.
I: Sie sind richtig hängen geblieben.
BB: Richtig, ja. Bis ich wahrscheinlich voll geladen war, ich weiß es nicht, dann
bin ich runter gefallen auf den Schnee. Oder umgefallen. Ja, dann war ich
wieder frei von den Drähten. Der jüngere Bruder hat dann gefragt, „B, bist
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439