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auf das Weihnachtsfest allerorts und in diversen Aspekten festgestellt werden
kann, erwarten lässt, betonen die ErzählerInnen vielfach: „Und [Weihnachten] ist
für uns also schon ein schönes, schönes Ereignis gewesen immer“ (CD). Neben den
Beteuerungen, wie schön das Weihnachtsfest in der Kindheit war, spielen auch
Hinweise auf die Einfachheit des Festes während dieser Jahrzehnte eine große
Rolle. Die ErzählerInnen beschreiben, wie einfach, wenig oder praktisch und not-
wendig einerseits die Geschenke und andererseits die Speisen zum Weihnachtsfest
waren. Einmal mehr wird implizit auf den Wandel im 20. Jahrhundert hingewiesen
und das Weihnachtsfest der Kindheit den heutigen, zumeist als negativ bewerteten
Weihnachtsbräuchen gegenübergestellt.
CD berichtet besonders detailgetreu von den großen (kirchlichen) Festen im
Jahreskreis und spricht in seinen Erzählungen die meisten Aspekte an, die auch
andere ZeitzeugInnen in Verbindung mit diesen terminbezogenen Bräuchen
erwähnen. Aus diesem Grund soll nachfolgend erneut der 1934 geborene CD mit
einem längeren Ausschnitt zitiert werden, in dem er über die größten Feiertage im
Jahreskreis und ihre Bedeutung für die Menschen spricht:
I: Hat es Fasching auch gegeben?
CD: Ja. Der Fasching, es ist eigentlich der Sonntag gewesen am „Küachli-
sonntig“163. Und zwar sind dort Kinder verkleidet so in den Bauernhäusern
herumgegangen, da ist man herumgehüpft. Die Erwachsenen sind da noch
nicht so maskiert gegangen wie heute. Nur die Kinder sind dort. Und dann
hast du da und dort in den Häusern drinnen „Küachli“ bekommen. Und
diese „Küachli“, das ist schon etwas Gutes gewesen. Und ab und zu „bischt oh
ihganga“164, hat es „Fadaküachli“165 gegeben. Und zwar hat dann die Köchin,
wo dann diese „Küachli“ gemacht hat, die hat in ein „Küachli“ hinein einen
Meter, zwei, Faden hinein gelegt, und mit herausgebacken. Und den Faden
hast du nicht gesehen. Dann hast du das „Küachli“ so herzhaft her genommen
und „met Ohmr drihbießa“166. Herrgott, und den Mund voller Fäden in den
Zähnen drinnen. [lachen] Und die Frauen mussten dann halt auch furchtbar
lachen, wenn wir da an diesen Fäden gezogen haben. [lachen] Ja, ja. Das ist
der Fasching gewesen. Das hat sich dann alles später ganz anders entwickelt.
Es sind dann eben die Erwachsenen … und dann ist eben nach dem Krieg
auch der Funkensonntag dann aufgekommen wieder. Und hat man zuerst
auch … als Bub hat man dann halt auch geholfen, diesen Funken aufzu-
bauen. Und wir Musikanten haben dann gespielt, ein paar Märsche gespielt.
Und das wird heute … damals, da hat es zum Funken dazu noch keinen Tee
gegeben und keinen Glühmost und keine heiße Wurst wie heute. Das ist heute
fast ein Jahrmarkt gegen früher. Und es ist sehr solide abgegangen. Da hat
163 der auf den Faschingsdienstag folgende Sonntag (auch: Funkensonntag).
164 bist du auch reingefallen; hat man dich auch reingelegt.
165 Fadenküchli.
166 voll Lust hineingebissen.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439