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142 man diesen Funken abgebrannt, und die Fackeln geschwungen, und dann ist
man heim gegangen. Und sonst, heute ist es ja ein halber Jahrmarkt, so ein
Funkensonntag. Schon beim Aufbauen wird gewirtet. Und beim Verbrennen
und alles. Das hat es damals alles noch nicht gegeben. Da sind wir, ja, ja, halt
noch bescheidener gewesen damals, oder? [lacht]
I: Ostern, hast du das noch in Erinnerung?
CD: Ja. Ostern, Ostern haben wir … halt mit den Ostereiern, aber es ist an
und für sich sonst, hat es außer Ostereiern keine Geschenke gegeben, hat man
auch nicht gehabt. Dort ist eben die konservative Erziehung noch ein biss-
chen strenger gewesen. Da ist beichten zu gehen fast wichtiger gewesen als
die Ostereier. Da hat es geheißen: Ja, an Ostern musst du dann beichten. Und
schon von der Schule aus. Weißt du, das … wenn dich nicht einmal die Eltern
geschickt hätten. Da hat der Pfarrer dann schon in der Klasse gewettert, wer
nicht beichtet zu Ostern und so und so, der ist … den hat man dann ein biss-
chen auf der Latte gehabt. Wir haben, ich weiß in Tschagguns, zwei oder drei
Schulkollegen gehabt. Das sind Protestanten gewesen. Die sind dann damals
noch nicht Freunde gewesen von den geistlichen Herren, oder, die Protestan-
ten. Da hat man immer noch gepredigt, wenn man sich eben andersgläubig
verhalte, dass man irgendwie ausgeschlossen werden könnte von der Kirche.
Und das hätte man damals für furchtbar angeschaut. Heute stört sich da nie-
mand mehr daran. Aber ansonsten hat man … Dort ist mehr das Kirchenfest
größer gewesen als das daheim, möchte ich sagen. Und im Laufe vom Jahr
halt die verschiedenen Fronleichnamsprozessionen. Und wie es in Tschagguns
gewesen ist, möchte ich sagen, Maria Geburt am 8. September, die Tschag-
gunser Kirche ist die zweitgrößte Wallfahrtskirche des Landes gewesen, und
hat an dem Tag bis zu 1.500, 1.600 Pilger dann gehabt. Da muss ich sagen, da
sind dann Unmengen von Leuten von der Innerfratte zu Fuß heraus gekom-
men. Frauen in der Tracht, und auch ohne Tracht, „of dia Tschaggusr Kilbi“167
hat man dann gesagt. Und es sind dann bis zu 20, 25 Stände herum gewe-
sen. Und dann ist diese Prozession gewesen. Und nach der Prozession hat
dann die Musik wieder gespielt. Dann ist Tanz gewesen, öffentlicher Tanz.
Eine Bühne und alles. Es ist also ein richtig großes Kirchenfest gewesen. Und
auch viele blaue Augen gegeben. Es hat dann halt auch Schlägereien gegeben.
Da ist dann mancher „gflohat warda wedr“168. Da hat der Alkohol dann halt
auch noch mit regiert. Und das ist dann später auch abgeschafft worden. Und
wir haben dann einen Priester gehabt. Und der hat dann gesagt, der mochte
das nicht, dass da fast hunderte von Fotoapparaten und Filmkameras an der
Straße stehen und da filmen. Und hat das abgeschafft. Und es ist schade, an
und für sich. Es ist doch schon wieder ein Brauch, wo im Montafon verloren
gegangen ist. Und na ja, so haben wir das Jahr durch gebracht dann halt.
167 auf die Tschaggunser Kirchweih.
168 geschlagen worden wieder.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439