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146 üblich waren. Meist arbeiteten Schulbuben oder gerade ausgeschulte Buben als
„Geißler“. Sie trieben die Ziegen des Dorfes zumeist täglich vom Tal bis in die
höchsten Lagen und hatten dabei eine genaue Weidefolge zu beachten.
FU: Dann ich weiß auch, ein „Gäßler“181 ist halt auch noch ein Lausbub, nicht
nur … [GT lacht] nicht nur ein Ziegenhirte, gell. Der hat auch alles Mögliche
getrieben. Und […] die Rinderhirten, oder halt die Hirten, haben einen Zie-
genhirten viel „ahgrecht“182: „tu das, tu das, und das musst du machen, und
das musst du machen.“ […] ich weiß, einmal haben sie mich auch aufgehetzt,
ich solle mit dem Hütchen hinein stehen und sagen, wenn jemand kommt:
„ich bitte um ein Almosen.“ [lachen] Ja, ja. Und dann machst du es als „Buab-
schi“183, oder? „Do folgischt“184. Dann habe ich dann auch … mein Gott, sind
ganz wenig gekommen. Vielleicht ein paar Pfennige hinein getan, und einige
gar nichts, haben wohl auch selber nichts gehabt. Solche Sachen. Und dann
haben sie wieder gehetzt: „tu das oder tu das.“ Und halt auch ein Ziegenhirte,
so einen Bub, kannst du gut aufhetzen, „etschas z’Teifls tua“185. Dass du etwas
anstellst. Nein, nein. Dann wenn auch die Leute noch zufrieden mit dir gewe-
sen sind, das ist gewesen, ob du da Hirte gewesen bist oder Ziegenhirte, oder
was du gewesen bist. […] Dann hat man „an Maia öberko“186, wenn man
fertig gewesen ist. Dann haben sie einem so in den letzten Tagen, den zweit-
letzten, den drittletzten Tag, haben dann die Frauen einem den Hut genom-
men, das Hütchen. Dann haben sie „an Maia gmahat“187. […] Blumen. Mit
Blumen rundherum. Dann hast du halt … Nur wenn sie zufrieden gewesen
sind. Sonst nicht.
I: Nicht?
FU: Nein. Dann hast du einen Herrgottsstolz gehabt, wenn du so „an Maia“
gehabt hast, da Blumen oben gehabt hast, wenn du „an Maia“ gehabt hast.
[…] „Met Rosamari, met Nägili“188. Halt eben wie sie zufrieden gewesen sind.
Und wenn du nur „an kliena Maia“189, dann hast du aber immer, hast du
einen Stolz gehabt. Und so hat er oft im Frühling einmal, mitten im Winter,
„Herrgott“, hast du immer gedacht, „wenn mich nur der wieder fragen würde,
ob ich hüten kommen darf.“ Oder?
FU spricht hier zwei Themenbereiche an. Einerseits die (schon aufgrund des
Alters gegebene) Hierarchie zwischen den verschiedenen Hirtenämtern, in der der
Ziegenhirt die erste Stufe einer Hirtenkarriere darstellte. So erklärt sich, dass die
181 Ziegenhirte.
182 zu etwas angestiftet.
183 kleiner Bub.
184 da gehorchst du.
185 etwas Blödes zu machen.
186 einen Blumenschmuck bekommen.
187 Blumenschmuck drauf gemacht.
188 mit Rosmarin, mit Nelken.
189 einen kleinen Blumenschmuck.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439