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180 knien müssen. Und wenn sie sie geholt hat, sind sie weg gewesen, gell. Man
hat halt gar nichts gelernt da. Gar nicht bei der.
RR ♂, geboren 1919:
RR: Da haben wir dann einen Lehrer bekommen, wo ich da neu in die Schule
bin. Dann hat der Bernhard, der ist neben mir gesessen, als Anfänger. Der
hat ja sowieso nicht gespurt. Der ist unterstützt worden vom Viktor und vom
Albert. Und dann hat der Lehrer einmal gesagt: Pause. Und dann ist links eine
kleine Rechenmaschine gestanden, auf der Bank. Der Bernhard auf, und „an
Sparz dri“234, und die Rechenmaschine ist auseinander gefallen. […] Dann
wenn halt Pause gewesen ist, um zehn oder um drei, ist man hinunter und
nicht mehr herauf. Der konnte da nichts anfangen, der Lehrer. Dann haben
wir einmal Pause gehabt, […] Ich weiß noch genau, da ist ein großer Stein
drinnen, dort sind wir drinnen gewesen. Dann hat es geheißen: Pause been-
det. Dann der Viktor voraus. Der ist [unverständlich] gegangen. Das ist ein
12er Jahrgang gewesen. Ein starker Lümmel gewesen. Und eben, das sind raue
Leute gewesen, weißt du. Starke, raue Leute. Aber gute Leute. Diensthafte und
„schaffige“235. Der voraus, und bumms in die Türe gesprungen, dass der Haken
hinein geflogen ist. Ja. Dann haben sie, Messer zum Schnitzen, von schönen
Scheiten. Dann haben sie dem Lehrer die rote Tinte genommen und haben sie
eben angestrichen. Dann hat der Viktor einmal „a Barta gschnetzat“236, wo
man hat, um Holz zu scheiten, in der Klasse drinnen. Hat der Lehrer gesagt:
Pause beendet. Der Viktor immer noch weiter geschnitzt am Boden. Wer die
Sauerei aufgeräumt hat, weiß ich nicht mehr. [lacht] Ja. Dann eben, wenn sie
wegen dem Klo aufgezeigt haben, ob es am Vormittag oder am Nachmittag
gewesen ist, sind sie zur Türe hinaus und nicht mehr gekommen. Jetzt hat
er angefangen … nicht mehr hinaus gelassen. Jetzt hat der Albert auch ein-
mal aufgezeigt. Und hat er ihn nicht mehr hinaus gelassen. Der ist hinter mir
gesessen. Und da hat der … hätte aufs Klo müssen. […] Hat er ausgepackt
und hat gesagt: „Das will ich noch schauen, ob mich der nicht hinaus lässt.“
Und hat hinter mir auf den Boden gepieselt. [lacht] In der Klasse drinnen.
Das ist tatsächlich wahr, gell. [lacht laut; beide lachen] Ja. Und dann ist er
dann weg gekommen, dieser Lehrer. Die Tinte haben sie ihm dann genom-
men […], die Kreide haben sie ihm genommen, die Taschenlampe angedreht,
drunter und drüber in den Pult getan, und wenn er sie gebraucht hat, ist sie
wieder vielleicht fast ausgebraucht gewesen oder gar. Ja halt, der hat nichts
dran gehabt.
Sowohl CCs als auch RRs Erzählungen bestehen über weite Teile aus Aufzählun-
gen verschiedener Streiche an der Lehrperson. Der mangelnde Respekt vor der
234 einen Fußtritt hinein.
235 fleißig arbeitende.
236 ein Holzbeil geschnitzt.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439