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Während bei den einen schöne Kindheitserinnerungen wach werden, kritisieren
andere Zwang, Fanatismus und Drill.
Die positiven Erinnerungserzählungen haben vor allem Abenteuer und Zusam-
menhalt zum Inhalt. Hier spielt wohl eine große Rolle, dass für ältere Kinder die
Jahre vor dem „Anschluss“ besonders durch harte Arbeit auf der Landwirtschaft
gekennzeichnet waren, zu der sie nun nicht mehr im selben Ausmaß eingeteilt
wurden. KP und BX erzählen:
KP ♂, geboren 1929:
KP: Aber … das war eine schöne Zeit für mich eigentlich. Auch wie der Hitler
gekommen ist. Wir haben ja viel arbeiten müssen, dazumal. Also schon als
Kinder. Eben auf der Landwirtschaft, wir haben damals eine bisschen größere
Landwirtschaft gehabt. Wir hatten immer so 10, 12 Stück Vieh. Da hat’s noch
keine Maschine gegeben, gar nichts. Da hast du alles noch von Hand machen
müssen. Und da hat man viel Arbeit gehabt. Dann ist der Hitler gekommen
und dann war man Zwangsmitglied bei der Hitlerjugend. Und das hat mir
gefallen. Da ist man in der Woche ein, zwei Mal zusammengekommen und
du hast Sport betrieben und das hat mir gefallen, das hat’s vorher bei uns
nicht gegeben. Mir hat das halt gefallen. Und nicht nur mir, allen jungen Leu-
ten. Der hat das verstanden gehabt. Und ich bin dann in die Hitlerjugendver-
sammlungen und zu den Spieleabenden und derweil hab ich natürlich nicht
arbeiten müssen zuhause. Ja, das hat mir gefallen.
BX ♀, geboren 1930:
BX: Nur eines weiß ich jetzt noch, eine positive Erinnerung, da ist diese Hit-
lerjugend gewesen. Und da ist ein wahnsinniger Zusammenhalt gewesen. Wir
haben Spiele gemacht. Das ist ein HJ-Führer gewesen. Ein bisschen ein älterer
Bub. Ein Hitlerjugendführer hat das geheißen. Das ist ein Jahrgänger von mir,
er lebt auch noch da weiter drinnen. Wir haben letzthin einmal gesprochen
davon. Da ist eine wahnsinnige Disziplin gewesen unter diesen Kindern. Ich
glaube wo ein Lehrer, glaube ich, nie hergebracht hätte. Das ist die positive
Seite gewesen.
Die Hitlerjugend war für viele Kinder und Jugendliche im Montafon zur damaligen
Zeit das erste organisierte Freizeitangebot, das zunächst vor allem eine Abwechs-
lung zum Arbeitsalltag darstellte und schließlich auch mit abenteuerlichem Flair
und spielerischen Angeboten lockte. BX schwärmt nicht nur von den Freizeitak-
tivitäten, die die verschiedenen altersspezifischen Jugendorganisationen anboten,
sondern vielmehr von ihren Erinnerungen an die Gruppendynamik, die unter den
Kindern entstand und von ihr als „Zusammenhalt“ bezeichnet wird.
Von der Kehrseite dieses Zusammenhalts berichten einige andere ZeitzeugIn-
nen, die von der Hitlerjugend ausgeschlossen waren oder aufgrund ihrer Ableh-
nung der HJ-Mitgliedschaft einen Ausschluss aus der Gemeinschaft der Gleich-
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439