Web-Books
in the Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geographie, Land und Leute
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Page - 217 -
  • User
  • Version
    • full version
    • text only version
  • Language
    • Deutsch - German
    • English

Page - 217 - in Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg

Image of the Page - 217 -

Image of the Page - 217 - in Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg

Text of the Page - 217 -

217 jugend gewesen waren, dass es keine Alternative dazu bzw. einen „Zwang zur Mit- gliedschaft“ gab. Der 1924 geborene SZ stellt diese Aussage beispielsweise gleich an den Anfang seiner Ausführungen über die Hitlerjugend: SZ: Ja, ich war bei der Hitlerjugend. Da hat jeder mitgehen müssen, wer da nicht gegangen ist, da hat man sofort gesehen, „ja, holla, entweder ist er Kom- munist oder sonst jemand“. Und wir sind alle, kann man sagen, klassenweise eingestellt worden. Da hat man natürlich Heimatabende gehabt und so weiter. Hat man uns präpariert und so weiter auf verschiedene … Man hat auch sportliche Übungen gemacht. Das war dann natürlich immer so, am Sonntag oder wann, hat man immer Weitsprung und 1000 Meter-Läufe und so weiter gemacht. Sportlich sich betätigt oder man ist ins Bad gegangen und alle sind sie von Hitlerjugend aus. Ich war kein Führer, da waren andere da, ältere, die natürlich ein besseres Mundwerk gehabt haben und sich besser durchsetzen haben können. Manche haben dann natürlich auch, von den Führern dann, gute Stellungen bekommen, eben auch. Wenn sie sich gut betätigt haben und positiv betätigt haben. Ich hab mit 14 Jahren noch nicht begriffen, was das Ganze soll und was es bewirken kann. Erst später ist man dann draufgekom- men, dass diese Partei ganz andere Ziele hatte, die man gar nicht verstand. Aber man musste praktisch gehen. Die Kleinen, bis zu 10 Jahren, waren die kleinen Pimpfe, die Anderen war die Hitlerjugend bis 16, 17. Bis sie eingezo- gen worden sind zum Arbeitsdienst oder zum Militär. SZs Erinnerungserzählung entspricht einer Rechtfertigungsgeschichte. Die For- mulierungen „Da hat jeder mitgehen müssen“ und „Und wir sind alle klassenweise eingestellt worden“ sollen gleich eingangs klarstellen, dass man keine Wahl hatte. SZ spricht nirgends von Freude oder Abenteuer, er stellt sein Engagement bei der Hitlerjugend als Pflicht dar, bemüht sich allerdings zu betonen, dass er „kein Füh- rer war“ und mit 14 noch nicht begriffen hätte, „was das Ganze soll“. Es ist typisch für Rechtfertigungsgeschichten, dass die ErzählerInnen sich bemühen darzulegen, dass sie die Ziele des Regimes bzw. auch die Rolle des Rädchens, das sie selbst hier darstellten, lange Zeit nicht erkannten und vor allem keine Möglichkeiten hatten, hier auf den Lauf der Geschichte Einfluss zu nehmen. Deutlich wird hier gleichzei- tig eine gewisse „Normalität“ bzw. Selbstverständlichkeit, die die Mitgliedschaft in der HJ offenbar darstellte. Diese Normalität wurde erst im Rückblick als erschre- ckend oder unangemessen erkannt und bewirkt in der Folge rechtfertigende Ten- denzen in der Darstellung.299 Nicht alle Interviewten beschreiben ihre Erinnerungen an die Hitlerjugend posi- tiv oder auch neutral-distanziert. Ein großer Teil der ZeitzeugInnen stellt Propa- 299 Lippitz, Wilfried: Eine Kindheit im Nationalsozialismus. Erinnerungen eines Erziehungswissen- schaftlers. In: Schlüter, Anne und Ines Schell-Kiehl (Hg.): Erfahrung mit Biographien. Tagungs- dokumentation der Duisburger Tagungen zum Thema „Erfahrungen mit Biographien“. Bielefeld 2004. S. 109–120. Hier S. 112.
back to the  book Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg"
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Subtitle
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Publisher
StudienVerlag
Location
Innsbruck
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
15.8 x 23.4 cm
Pages
464
Keywords
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Category
Geographie, Land und Leute

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
Web-Books
Library
Privacy
Imprint
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert