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die Rede ist.315 So kann, wenn schon nicht von einem umfassenden Wissen um
die Verbrechen der NationalsozialistInnen, schon aufgrund der medialen Bot-
schaften in Zeitungen, Radioansprachen und Reden (und nicht zuletzt aufgrund
Hitlers Buch „Mein Kampf“) von der Informiertheit der Bevölkerung über die
Ausgrenzung und Verfolgung der JüdInnen,316 zumindest aber von der Kenntnis
verschiedenster Gerüchte, Hinweise oder Teilinformationen über den Judenmord
und andere Verbrechen sehr wohl ausgegangen werden. Tatsächlich gehört die
Frage, welche Kenntnis die zeitgenössische reichsdeutsche Bevölkerung von der
Judenverfolgung hatte, zu den bisher nur unzureichend geklärten Problemen der
Holocaust-Forschung.317
Zur Illustration sollen nachfolgend einige Beispiele wiedergegeben werden.
HH ♂, geboren 1930:
HH: Und mit zwölf Jahren hab ich schon den Segelfliegerschein gemacht in
Mitterdorf bei Kufstein und hab dort die A und B Prüfung gemacht. Damals
haben wir die Flugzeuge noch hinaufgeschleppt. Und wir waren natürlich
begeistert. Wir wussten ja nichts vom ah … Umfeld ah … des … Nationalso-
zialismus. Und wir haben auch … ich hab auch immer noch geglaubt bis zur
letzten Minute, dass wir den Krieg gewinnen an und für sich.
AZ ♂, geboren 1930:
AZ: Und dann, wo der Hitler gekommen ist, da hat es gleich Kinderbeihilfe
gegeben. Und Bergbauernentschuldung. Hat natürlich aufgeatmet, wo der
Hitler gekommen ist. Aber es hat sich dann natürlich schon auch geändert.
Und es hat dann das mit den Juden angefangen. Und jetzt hat man da eigent-
lich nicht gehört, von den Juden.
CZ: Nein, wir haben das nicht so gehört.
AZ: Aber halt, wo die jungen Leute einrücken mussten, das ist dann elend
gewesen. Für diese Mütter hauptsächlich, wie unsere Mama, die hat furchtbar
getan. Das ist auch für uns furchtbar gewesen, wenn da so ein junger Bub
einrücken musste.
JQ ♂, geboren 1930:
JQ: Aber uns ist es erst nach dem Krieg schlecht gegangen. Das muss ich Ihnen
ehrlich sagen. Also wir haben während dem Krieg nichts … ich war auch
315 Longerich, Peter: „Davon haben wir nichts gewusst!“ Die Deutschen und die Judenverfolgung
1933–1945. München 2006. S. 7f.
316 Schreiber, Horst: Nationalsozialismus und Faschismus in Tirol und Südtirol. Opfer – Täter –
Gegner. (= Nationalsozialismus in den österreichischen Bundesländern 1) Innsbruck 2008.
S. 274.
317 Longerich: „Davon haben wir nichts gewusst!“ S. 8.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439