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242 habe dann, wenn jemand gesagt hat: „Hört ihr auch Radio?“ – „Ja ich nicht,
ich habe ja keines und so.“ Und den Mann habe ich … Vor dem habe ich einen
großen Charakter [vermutl.: Respekt, Anm.] gehabt, weil er hat mich immer
bestens aufgeklärt, wie es steht.
Gerade angesichts der immer offensichtlicheren Propaganda der Nationalsozialist-
Innen nahm das Interesse an Informationen von Außerhalb zu. CD widerstand
der Verlockung, die Berichte, die er illegalerweise im Radio gehört hatte, Dritten
gegenüber zu erwähnen. Einerseits weil er fürchtete, sich selbst damit in Gefahr
zu bringen, andererseits auch weil er seinem Gastgeber dankbar für die Informa-
tionen war und diesen schützen wollte. Trotz der Andeutungen, dass dieser auch
Angst gehabt hätte, fließt doch ein wenig Heldenhaftigkeit in seine Beschreibung
durch CD ein.
Der Wissensdrang vieler Menschen im Deutschen Reich beschränkte sich aller-
dings nicht auf das Radio. Die immer länger werdende Liste an verbotener Lite-
ratur, Wissenschaft oder Kunst bewirkte gerade bei jungen Menschen eine noch
größere Neugier auf eben diese Werke. Der 1927 geborene JJ erzählt nachfolgend
vom unstillbaren Hunger der jungen Männer in der Lehrerbildungsanstalt nach
Wissen gerade in Form von illegalen Medien, neben dem Radio auch in Form von
Büchern:
JJ: Da haben wir nämlich dann auch Feindsender gehört. Wir durften in der
LBA nicht Feindsender hören, dann wärst du ja gleich aus der Schule hinaus
geflogen. Das haben wir aber gemacht. Da haben wir nämlich … einer hat
dann so einen Apparat gehabt. Da sind wir dann heimlich hinauf und haben
dann diese Feindsender abgehört. Weil das ist so spinnig gewesen, das kannst
du dir nicht vorstellen. Heute ist das ja nicht mehr so. Du hast einen Drang
nach einem Wissen gehabt. Du hast einen Drang gehabt, etwas zu lesen, etwas
Fremdes. Tolstoi. Hei. Den hast du ja gefressen. Das ist verboten gewesen,
solche Sachen. Oder zum Beispiel Relativitätstheorie und das Zeug. Das hast
du ja gefressen. Aber das hast du ja nicht glauben dürfen. Das hat geheißen, es
ist jüdisches Gedankengut. Jetzt musst du dir vorstellen, Wahrheit in Physik,
eine Theorie wo anerkannt ist, das Zeug, hast du aus dem Grund nicht lesen
dürfen, weil es jüdisches Gedankengut ist. Und da weißt du schon, wie weit
da die wirren Ansichten da von den Oberen schon gewesen sind. Aber umso
mehr, dass man das verboten hat, umso mehr hat das gegolten. Das ist auch
anders als heutzutage. Heute müssen sie lernen. Und wir haben einen Drang
gehabt, so etwas zu lesen, und etwas, dass wir da mehr wissen als die anderen.
Das ist auch ganz anders als heute. Aber wahrscheinlich weil man es verboten
hat, und jeder hat auch gewusst, wenn sie uns erwischen, du bist weg, bist weg
vom Fenster. Du darfst nicht nur in die Schule nicht mehr, sondern in ganz
Tirol und Vorarlberg bist du ausgeschlossen aus der Schule. Und du hast es
aber trotzdem gemacht.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439