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Krieg ist eigentlich … Niemanden kann man da beschuldigen, gell. Weder die
Eltern, noch sich selber, [unverständlich]. Das ist halt Schicksal. Da kann man
nichts machen. […] Der VZ ist da gewesen, hat er mich gefragt, was ich jetzt
schätzen tät, wie viel … also, Wiedergutmachung, oder. Habe ich gesagt, das
kann man nicht mehr gut machen. Das ist … erstens, die Jugend ist kaputt
gewesen. Von der Jugend habe ich gar nichts gehabt, oder. Mit 16 Jahren bin
ich da hereingekommen, mit Pickel und Schaufeln. […] Von der Jugend, da ist
… das ist ein schwarzer Fleck.
AA ♂, geboren 1918, am Ende des Interviews über die persönliche Bedeutung des
Krieges:
AA: Also, auf jeden Fall hat man eine Genugtuung, dass man das geschafft
hat, und diese Zeit auch übertaucht hat. Und jetzt überhaupt, in dem Alter,
dass man mit diesen Strapazen, was man da gehabt hat, mit dem Krieg und
alles miteinander, bist du ganz überrascht, dass du da das Alter noch erreichst,
wo die Eltern alle so früh gestorben sind, in der Kriegszeit. Also, na ja.
I: Und eine Frage noch so zum Familienleben, hat man wahrscheinlich gar
nicht so viel Zeit gehabt, denke ich?
AA: Kinder habe ich nie auf dem Schoß gehabt, beide nicht. Naja, ich bin
so ein bisschen … durch den Krieg und die schlechte Jugendzeit ist man ein
bisschen ein roher Bursche geworden. Und da hat man dann gar nicht so ein
Bedürfnis, oder ich weiß nicht … ein bisschen ein roher Bursche halt.
ST ♂, geboren 1926, über seine Jugend:
ST: Ja, das ist … die ganze Jugend ist ja weg gewesen. Arbeitsdienst, Militär,
Gefangenschaft. Und danach im Arbeitsleben drinnen gewesen.
JJ ♂, geboren 1927, über den Missbrauch der Jugendlichen durch die Nazis:
JJ: Und weißt du, man kann sich nicht vorstellen, wie die Propaganda bei uns
Jungen, wie die gewirkt hat. Obwohl du schon gewusst hast, das kann nicht
gut ausgehen, hast du es immer noch nicht glauben wollen. […] Und hinter-
her hast du erst gemerkt, was wir eigentlich … wie wir beschissen wurden.
Was sind wir aufgewachsen nur im Krieg. Im Heim schon haben wir zu wenig
zu essen gehabt, haben wir Hunger gehabt und alles Mögliche. Uns haben sie
schon geschliffen, die ganze Zeit, grad im Heim auch, in der LBA. Das ist alles
nur voll militärisch zugegangen. Immer Wehrertüchtigungslager, nur auf diese
Art und Weise. Wir sind bis achtzehn nur im Krieg gewesen, haben überhaupt
nie etwas gehabt. Uns hat man die ganze Jugend eigentlich gestohlen. Und wir
haben aber gemerkt, wir sind eigentlich nur auf den Leim gegangen von die-
sem ganzen Zeug. Und darum hast du dann irgendwie einen Hass gehabt auf
alle Politik. Du hast keiner Politik mehr glauben wollen. Es hat lange gedau-
ert, bis du das überhaupt überwunden hast.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439