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344 gerne gewesen, ich muss dazu sagen, also das hat mit dem jetzt nichts zu sagen,
wenn man damals mit vierzehn das ausgewählt hat, wegen [lacht] den Ferien.
FF erwähnt dankbar, dass sein Vater erkannte und akzeptierte, dass der Jugend-
liche für die Landwirtschaft nicht sehr geeignet war, und dass er über Verwandt-
schaftsnetzwerke einen Arbeitsplatz für seinen Sohn organisierte. JJ sträubte sich
zunächst gegen den Vorschlag seines Lehrers, selbst auch den Lehrberuf zu wäh-
len, und ließ sich schließlich von seinem Vater von den Vorteilen dieses Berufes
überzeugen. Wenn auch im positiven Sinne, wie die dankbare Haltung der Erzäh-
ler gegenüber ihren Vätern bestätigt, so wird hier doch die Entscheidungsmacht
der Eltern über die berufliche Laufbahn der Kinder deutlich.
Zahlreiche Erzählungen in Bezug auf den beruflichen Werdegang thematisieren
die Schwierigkeiten oder großen Anstrengungen, die die Arbeit während der ers-
ten Zeit prägten. Vergleichbar mit den Erzählungen von der „harten, arbeitsamen
Kindheit“, werden auch hier gerne Extreme geschildert, die einerseits den großen
Einsatz und die hohe Arbeitsmoral der ErzählerInnen dokumentieren sollen, und
andererseits die großen Anforderungen an die jungen Männer implizit heutigen
Verhältnissen gegenüberstellen.
IJ ♂, geboren 1924:
IJ: Mein Gott, das war selbstverständlich. Es war eine Geselle dabei und
wir Lehrlinge. Wenn etwas gefehlt hat, hat man die Lehrlinge dann hin-
ein geschickt, „hol noch das oder jenes“, was noch notwendig war. Auf dem
Bartholomäberg oben, das weiß ich noch, haben wir dann installiert, da gab’s
diese neue Trafostation. Na, dem Lehrling hat man dann immer gesagt, „uns
fehlt jetzt das, geh doch hinunter und hol das“. Den hat man herumgeschickt
natürlich. Aber warum nicht. Ich war dann lieber unterwegs als irgendwo
ein Loch graben. Es gab dann schnell einmal eine Bestimmung, da hat man
gesagt, „die Lehrlinge dürfen für diese Grabarbeiten nicht mehr eingesetzt
werden“. Da wurde in dieser Hinsicht schon darauf geachtet, dass man als
Lehrling gewisse Rechte hatte. Während früher hat man die Lehrbuben ja aus-
genutzt, nicht. Kann mich noch erinnern – möcht aber sagen, das war keine
Ausnützung – am Heiligen Abend hat uns der Meister gesagt, „jetzt ist Heili-
ger Abend“, statt um sechs haben wir um fünf Feierabend. Und das war eine
Freude, gelt. Ja ja, aber früher war’s sicher noch schlechter. Die Lehrbuben hat
man herumgejagt und dann haben sie womöglich noch Schläge bekommen.
Das war jetzt in unserer Lehrzeit nicht mehr der Fall. Da war’s schon, in die-
ser Hinsicht, etwas besser.
JQ ♂, geboren 1930:
JQ: Und dann hat mein Onkel, der Bruder von meinem Vater, in Vorarlberg,
der hat eine Holzhandlung gehabt. Und der hat gesagt, ich kann zu ihm kom-
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439