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Mannsbildern nicht anders verfahre, werde ich keinen bekommen. Ich sagte,
„dann bleibe ich halt ledig so wie du“. Sie meinte, ich solle es nicht machen,
dann müsste ich den anderen nur den Dreck machen.
OL ♀, geboren 1927:
OL: Der PL ist unter die Lawine gekommen. Unser Kind war damals 11
Monate. Bei der Beerdigung vom PL war der RK da und hat mir Beileid
gewünscht. RK war beim PL im Kleinwalsertal als Hilfsschilehrer beschäf-
tigt. Er wollte das Kind sehen und ich bin mit ihm bis zur Landbrücke und
hab ihm das Mädchen gezeigt. Das Kind war sehr angetan von TB und zwei
Monate später waren wir verheiratet. […] Bei der Beerdigung vom PL bin ich
nicht einmal zum Totenschmaus eingeladen worden. Zum Glück hat mich RK
geheiratet, ich wär sonst mit der Tochter auf der Straße gestanden.
IJ ♂, geboren 1924:
IJ: Aber hinten nach, wenn man da so nachdenkt, dann denkt man, „Mein
Gott, wie geht es uns in der heutigen Zeit eigentlich gut gegenüber wie es unse-
ren Vorfahren oder unseren Eltern ergangen ist.“ Es war ja früher schon eine
Katastrophe, wenn ein junges Mädchen, wie meine Mama war, ein lediges
Kind bekommen hat. Das war nicht so einfach. […] Ja, sie hat ja dann eigent-
lich früh geheiratet, das heißt, der Vater hat dann eben das Anwesen übernom-
men – wie genau, das weiß ich jetzt auch nicht – und hat, wie soll ich sagen,
gewusst, ich brauch noch jemanden um das zu bearbeiten, und hat dann eben
die Mama, ich nehm an, zuerst wird er sie als Dienstmagd aufgenommen
haben, mit diesem Kind. Das Kind hat er dann allerdings … und hat dann
auch geheiratet noch. Die war natürlich um 20 Jahre jünger ungefähr. Meine
Mama war Jahrgang 98 und der Vater war, wie ich schon sagte, 79, also da
war ein großer Altersunterschied da. Da war es dann sicher so, dass, einerseits,
die Mama sicher froh war, wie man so sagt, dass sie unter die Haube gekom-
men ist. Trotz des Kindes. Und andererseits war mein Vater wieder froh, dass
er jemanden hatte, der noch jung und kräftig war. Zum Mithelfen natürlich.
KKs Erzählung thematisiert die Rolle unverheirateter Frauen in der Gesellschaft.
Ledige Frauen wurden offenbar häufig vor allem als günstige Arbeitskräfte gesehen
und von Seiten des Vaters oder Bruders für Kost und Logis auf der eigenen oder
auch einer anderen Landwirtschaft verdingt. KK bringt den geringen Stellenwert
lediger Frauen in der sozialen Hierarchie mit den Worten ihrer ledigen Taufpatin
zum Ausdruck, die ihr im Falle einer Nicht-Verheiratung droht: „dann müsste ich
den anderen nur den Dreck machen“.
OL erzählt, wie sie als quasi verwitwete Unverheiratete nach dem Tod ihres
Partners in große wirtschaftliche Not geriet, aus der ihr nur die Heirat mit einem
Freund ihres Mannes als Ausweg erschien, die bereits zwei Monate nach dem
Begräbnis stattfand.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439