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Geographie, Land und Leute
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert - Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
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389 In AZs Erzählung, die wie gesagt nur einen Ausschnitt aus der gesamten Beschrei- bung seiner Leidensgeschichte darstellt, gibt es keine Höhepunkte und nichts daran ist spektakulär. Seine Stimmung beim Erzählen wirkt gedämpft und dul- dend, der Erzähler übt sich in Dankbarkeit („Und ich muss sehr zufrieden sein, wie ich heute noch beieinander bin“), ohne jedoch besonders glücklich zu wirken. In den Erzählungen über Krankheiten stehen das Leid bzw. häufig die eigene Lei- densfähigkeit im Vordergrund. Ein Leben geprägt von Schmerz und Leid ertragen zu können und auch leben zu wollen, diese Haltung entbehrt nicht eines gewissen Kampfaspektes. Als „Leben im Kampf gegen das Leid“ könnte auch das Motiv der nachfolgen- den Erzählung der 1926 geborenen WD bezeichnet werden. Die Erzählerin bringt ihren Kampf darin bildhaft zum Ausdruck. WD: Ja mein … der Fuß hat mich halt immer begleitet. Das ist einfach … ein- fach mein Bösewicht gewesen. Ich habe ja immer … „i hon aber net lugg lo“494. Ich habe immer Krieg gehabt mit meinem Bösewicht. Das ist eine angebo- rene Missbildung der Venen und Arterien. Die sind verkrüppelt vom rechten Knie abwärts, einfach so auf die Welt gekommen. Von was weiß kein Mensch. Kein Mensch. Und sie haben es auch lange, viele Jahre nicht erkannt. Erst der Dr. Judmaier hat es erkannt in Innsbruck, und hat es mir noch auf dem Papier aufgezeichnet, was das überhaupt ist und was man da machen kann. Und da hat man zum ersten Mal zu mir gesagt: „Bein ab.“ Und da bin ich im vierten Monat schwanger gewesen beim Hansi. Aber dem Büblein hat es nichts gemacht bei dieser Operation. Gar nichts. Es hat ihm nichts gemacht. Er musste noch warten, noch 37 Jahre. I: Bein ab. Ist es ab? WD: Nein, nein. Ich habe es nicht machen lassen. Nie. Und dann noch einmal in Feldkirch unten, der Oberarzt Rein hat auch einmal zu mir gesagt: „Bein ab“. Vor ein paar Jahren. Noch nicht so lange her. Und da habe ich gesagt: Nein. „I komm allig wedr z’Weg.“495 Ich bin es ihm immer wieder gewesen, diesem Bein. Immer. Ich musste immer kämpfen. Ich musste einfach immer kämpfen. Immer. Ich bin durch das, weil ich auch viel alleine gewesen bin, trotz meinen Schmerzen, musste ich viel kämpfen. Und ich habe auch meine Tiere gebraucht. Die habe ich gebraucht, neben den Kindern, meine Tiere, um sie zu pflegen, Hund und Katze, und Hasen habe ich gehabt. Einmal habe ich 40 Hasen gehabt. WD betont immer wieder, „nicht aufgegeben“ zu haben, bezeichnet ihr Bein als „Bösewicht“, dem sie sich aber stellt, indem sie zweimal die ärztlich empfohlene Amputation zurückweist, und schließlich fasst sie zusammen, dass sie „immer kämpfen musste“, und benennt ihre Kinder und Haustiere als Quellen der Kraft für diesen Kampf. In WDs Erzählung kommt, wie auch in den Erzählungen über 494 ich habe aber nicht aufgegeben. 495 Ich komme immer wieder auf die Beine.
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Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
Title
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Subtitle
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
Publisher
StudienVerlag
Location
Innsbruck
Date
2013
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
Size
15.8 x 23.4 cm
Pages
464
Keywords
Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
Category
Geographie, Land und Leute

Table of contents

  1. Vorwort 11
  2. Einführung 13
  3. 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
    1. 1.1. Potenzial und Grenzen des biografischen Interviews 18
    2. 1.2. Entstehung und Funktion von Erinnerungen 22
      1. 1.2.1. Wahrnehmung 22
      2. 1.2.2. Kollektives, kulturelles, kommunikatives, autobiografischesGedächtnis 25
      3. 1.2.3. Erinnerung 29
    3. 1.3. Spezifika von Erzählungen im Rahmen lebensgeschichtlicher Interviews 31
      1. 1.3.1. Vom Erzählen zur Erzählung 32
      2. 1.3.2. Spezifika von Erzählungen im narrativen Interview 34
      3. 1.3.3. Spezifika lebensgeschichtlicher Erzählungen 35
    4. 1.4. Potenzial der Erinnerungserzählungen 42
  4. 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
    1. 2.1. Zur Entstehung des Quellenmaterials 47
      1. 2.1.1. Der Idealtyp des narrativen Interviews und die Praxis 48
      2. 2.1.2. Die Arbeit mit dem erhobenen Quellenmaterial 50
      3. 2.1.3. Statistischer Überblick über die biografischen Interviews 52
    2. 2.2. Erinnerungspraxis und Erzähltradition: Definition und Forschungsziel 55
      1. 2.2.1. Zur Methodik der Auswertung und Analyse 58
      2. 2.2.2. Zur Darstellung der Ergebnisse 60
  5. 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
    1. 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
    2. 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
    3. 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
    4. 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
      1. 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
      2. 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
      3. 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
      4. 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
      5. 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
      6. 3.4.6. Modernisierung 112
      7. 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
      8. 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
      9. 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
      10. 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
      11. 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
      12. 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
      13. 3.4.13. Autoritäten 183
      14. 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
      15. 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
      16. 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
      17. 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
      18. 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
      19. 3.4.19. Repressives NS-System 230
      20. 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
      21. 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
      22. 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
      23. 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
      24. 3.4.24. Gefangenschaft 263
      25. 3.4.25. Heimkehr 268
      26. 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
      27. 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
      28. 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
      29. 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
      30. 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
      31. 3.4.31. Kriegsende 301
      32. 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
      33. 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
      34. 3.4.34. Entnazifizierung 324
      35. 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
      36. 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
      37. 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
      38. 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
      39. 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
      40. 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
      41. 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
      42. 3.4.42. Liebe und Ehe 370
      43. 3.4.43. Geburt der Kinder 381
      44. 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
      45. 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
      46. 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
      47. 3.4.47. Naturkatastrophen 400
      48. 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
      49. 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
      50. 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
  6. 4. Zusammenfassung und Synthese 421
    1. 4.1. Erzählstoffe und Leitlinien 422
      1. 4.1.1. Die 50 Erzählstoffe einer Durchschnittsbiografie 424
      2. 4.1.2. Ein Leben geprägt von Wandel 427
      3. 4.1.3. Arbeit als Lebensthema 428
      4. 4.1.4. Männer- und Frauenerzählungen 429
      5. 4.1.5. Geschichtliches und Lebensgeschichtliches 430
    2. 4.2. Erzählstrukturen und -strategien: Rechtfertigung, Idyllisierung, Vergleich 432
  7. 5. Verzeichnisse und Nachweise 439
    1. 5.1. Liste der anonymisierten ZeitzeugInnen 439
    2. 5.2. Literaturverzeichnis 440
    3. 5.3. Internetquellen 454
    4. 5.4. Abbildungsverzeichnis 454
    5. 5.5. Ortsregister 458
    6. 5.6. Personenregister 461
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