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geschichten in lebensgeschichtlichen Erzählungen haben beispielsweise folgende
Form, die der 1925 geborenen SH beschreibt:
SH: Die Schwägerin, da ist er Schneidermeister gewesen, da über dem Tobel
ist ein Haus, da haben die gewohnt. Und da sei es auch nicht gar so gewesen,
in dem Haus. Und dann ist man oft übers Tobel hin und her, „a biz uf’na
Hock“510 und dann sind sie heraußen gewesen, einfach zusammengelebt, oder.
Und da bin ich dann am Abend hinein da und hin da zur Elsa, und gehockt
und gehockt und gehockt, da sind so Kundschaften gekommen. Und da ist
ein mords Nebel gewesen, da ist es ein bisschen gefährlich in dem Tobel. Und
da sagt die Elsa: „Du gehst heut nicht hinaus, da, du schläfst heute bei uns
herinnen. Die Anni weiß einmal wo du bist. Schlaf da.“ Ja, gut. Und dann
haben sie oberhalb oben, im Zimmer haben sie die Werkstatt gehabt. Da sind
zwei Nähmaschinen gestanden und seine Bügeltische da, dann sind wir dort
gehockt, bis, denk ich, Mitternacht. Und dann sagt die Schwägerin: „Du gehst
grad in das Nebenzimmer da, auf das Kanapee.“ Hab ich gesagt, „das ist mir
gleich“. Eine Couch ist das gewesen, oder. Eine Decke zum Zudecken. Ja, ja,
bin ich da hinein gelegen, und sie sind hinunter, auch ins Bett. Die Kund-
schaften sind gegangen und sie sind auch alle ins Bett. Und dann ist es ruhig
gewesen, eine Weile lang. Und dann habe ich da ein bisschen nachstudiert,
auf einmal denk ich: „Da geht die Nähmaschine!“ Oder! [lachen] „Tatatatata“,
die Nähmaschine. Und da habe ich mir nichts draus gemacht, sonst wär ich
auf und heim! [lachen] Am anderen Morgen sage ich zur Elsa: „Bist du noch
nähen gegangen hinauf ins Zimmer? In die Werkstatt?“ – „Was, nähen?“ sagt
sie, „nein, nein.“ – „Da war einmal eine Nähmaschine“, sag ich. „Ja, ja, das
glaub ich schon“, sagt sie. Da ist es nicht ganz geheuer!“ [lachen]
SH erzählt diese Geschichte wohl vor allem, um die Interviewerin zu unterhal-
ten, da sie für seinen persönlichen Lebensweg kaum von Bedeutung ist, abgese-
hen von der Dokumentation des vertraulichen Verhältnisses zur Familie seiner
Schwägerin. Dass SH die Situation am Morgen in Form eines Dialoges darstellt,
unterstreicht die unterhaltende Funktion einerseits und weist andererseits darauf-
hin, dass der Erzähler diese Geschichte schon häufig in dieser oder ähnlicher Form
wiedergegeben hat.
Eine den Geistergeschichten verwandte Erzählform, die besonders häufig in die
lebensgeschichtlichen Erzählungen einfließt, stellen Geschichten vom „Künden“
dar. Dabei wird indirekt vom Tod eines verwandten oder bekannten Menschen
berichtet, der den Hinterbliebenen durch ein Zeichen Nachricht vom eigenen Tod
bringt. Mehrere ZeitzeugInnen berichten, eine derartige Situation selbst erlebt zu
haben bzw. jemanden zu kennen, der derartiges erlebte. Zwei beispielhafte Aus-
schnitte sollen nachfolgend das Muster dieser Erzählungen verdeutlichen:
510 ein bisschen zusammengesessen.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439