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410 behauptet, sie kann die Wespennester bannen. Man hat gemäht und auf ein-
mal kommt in der Wiese ein Wespennest. Da muss man immer davonlaufen
und so. Da hat sie gesagt, sie kann das. Und die hat das scheinbar gemacht. Sie
hätt sich auf das Wespennest drauf gesetzt und die Wespen hätten sich beru-
higt. „Ich kann das bannen“. Das ist sowas, das mit von Kindheit her … [lacht]
I: Sie waren da aber nie dabei oder?
ZZ: Dabei war ich nie, aber das hat man gesehen, dass sie sich hinsetzt. Ich
hab das nie gesehen. Auf die Wiese, ja, da hat sie … das sind ja meist steile
Hänge. Da wird sie sich halt hingesetzt haben. War da was dran, dass sie was
konnte oder nicht … So Wunderheiler hat es schon gegeben. […] Ich weiß nur
einmal, da bin ich selber hingefahren zu ihm [einem Wunderheiler, Anm.], da
hab ich das Motorrad gehabt. Da bin ich von der Nachtschicht heim gefahren
und bei Löruns beim Hirschenwirt – es gibt ja das Gasthaus Hirschen – der
Mann, der hat mich aufgehalten, der hat mich erkannt, weil mein Vater war
früher auch Knecht bei dem Hirschen. „Würdest du mich nicht hochfahren,
noch weiter von Jetzmunt nach Bartholomäberg zu dem LZ? Ich hab ein Kuh-
kalb, das hat einen Gliedschwamm.“ Das muss ein Gewächs … am Knie, am
Bein gehabt haben. Und es wäre das letzte Kalb von dieser Kuh, von einer
guten Abstammung. Ob ich nicht zu ihm hinfahren könnte um ihm zu sagen,
er soll bitte herkommen. Hab ich gesagt, „Das mach ich“, bin ich hochgefahren
zu ihm. Er war ja grad im Stall, um sechs bin ich reingefahren, um sieben war
ich bei ihm. Er war im Stall, ich hab ihm erzählt, dass der UB, hat der gehei-
ßen, es wünscht, dass er nachhin kommt zu dem Kalb. Da hat er gesagt, „da
muss ich nicht hinfahren. Da sagst du ihm, er soll eine Weidenrute vor Son-
nenaufgang schneiden, soll ein Vater Unser beten und soll mit der Weidenrute
nur aufs Knie streichen“. Oder schlagen. „Und dann wird das schon.“ Ich hab
mir gedacht damals, das ist sicher ein Schmäh. Das gibt’s ja gar nicht. Ich hab
das aber … am Abend bin ich wieder hingefahren zur Nachtschicht, hab ihm
das erzählt. Er hat das gemacht, ist es weggegangen. Die Viehärzte konnten da
nichts machen. Ich hab’s nicht geglaubt.
ZZ äußert hier selbst Zweifel an der Wirksamkeit der Wunderheilungen, er wählt
diesen Erzählstoff wohl vor allem in seiner Rolle als Zeitzeuge aus, der sich bemüht,
interessante Einblicke in Arbeit und Alltag früherer Zeiten zu geben, und macht
sich im letzten Teil seiner Darstellung selbst zur (hilfsbereiten und kritischen)
Hauptfigur der Erzählung. Dieser Ausschnitt verdeutlicht in Gegenüberstellung
mit den vorhergehenden Beispielen, dass der Erzählstoff der mystischen, rätsel-
haften Begebenheiten vielfältige Funktionen in lebensgeschichtlichen Erzählungen
innehaben kann. Dem Unterhaltungswert kommt in diesen Geschichten eine zen-
trale Rolle zu, aber auch Moralvorstellungen oder Selbstbilder der ErzählerInnen
werden vermittelt.
Nicht zuletzt spielten traditionelle Spruch- oder GebetsheilerInnen bis vor
wenigen Jahrzehnten eine große Rolle im Montafon, zumindest wurde eine auf-
fallend hohe Dichte an WunderheilerInnen im Tal sowie zahlreiche Erzählungen
über erfolgreiche Heilungen oder anderen zuteilgewordene Hilfestellungen durch
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439