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426 „NS-Propaganda in der Schule“, „In der Hitlerjugend“, „Auflehnung und Wider-
stand“, „Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören“ oder auch „Heim-
kehr“, „Von Deserteuren und ‚Waldhockern‘“, „‚Heimatverteidiger‘ und Wider-
standsbewegung bei Kriegsende“ sowie „Die französische ‚Besatzung‘ und die
‚Marokkaner‘“ handelt es sich häufig um sehr ausführliche, mit viel Emotion und
Freude erzählte Erinnerungen. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass
es sich hier um politisch eher unverfängliche Themenbereiche handelt und sich
die ErzählerInnen trotz der Nähe zum Nationalsozialismus entweder als ehema-
lige Kinder oder aber als „Widerständige“ nicht zu einer rechtfertigenden Haltung
gezwungen sehen.
Der dritte Abschnitt thematisiert den wirtschaftlichen Aufschwung und die Rück-
kehr der ErzählerInnen in ein geregeltes Familien- und Arbeitsleben bzw. den
Aufbau eines solchen. Dieser Abschnitt umfasst immerhin die restlichen 50 Jahre
des Lebens der ErzählerInnen, beinhaltet aber nur 16 Erzählstoffe10, die sich auch
in ihrer Dichte und Emotionalität stark von den vorhergehenden Erzählstoffen
unterscheiden. Zumeist werden Erzählungen diesen Zeitraum betreffend eher wie
beiläufig präsentiert, als Leserin gewinnt man oft den Eindruck, die ErzählerInnen
bemühen sich lediglich, ihren Lebenslauf zu komplettieren, nun, da die spannen-
den Episoden ihres Lebens bereits ausführlicher beschrieben wurden. Dies betrifft
vor allem die Erzählstoffe „Urlaube mit der Familie“, „Liebe und Ehe“, „Geburt der
Kinder“, „Unfälle und Krankheiten“, „Umgang mit dem Altern“, „Umgang mit Tod
und Verlust“ oder „Kultur- und Jugendpessimismus“. Einige Erzählstoffe stellen
hier allerdings eine Ausnahme dar, besonders Geschichten von den Schmugglern
und Wilderern, aber auch von der „Armut und den einfachen Verhältnissen in der
Nachkriegszeit“ sowie vom „Wirtschaftliche Aufschwung in der Nachkriegszeit“
und vom „Neu-Anfang mit dem Tourismus“ werden nicht selten sehr engagiert
und ausführlich erzählt. Der Erzählstoff „Beruflicher Werdegang und Ausbildung“
stellt den erzählerischen Schwerpunkt dieses dritten Lebensabschnittes schlecht-
hin dar.
Die Einteilung der lebensgeschichtlichen Erzählungen in diese drei Abschnitte
verdeutlicht, in welchem Ausmaß die ZeitzeugInnen ihre erzählerischen Schwer-
punkte besonders auf die erste Hälfte bzw. die ersten beiden Drittel ihres Lebens
legen. Erzählstoffe wie etwa Pensionierung, Geburt der Enkel oder Altern werden
von Einzelnen nur am Rande erwähnt, der Umgang mit Krankheit und Tod stellt
eines der wenigen Themen dar, das spezifisch die Erfahrungen im letzten Drittel
des bisherigen Lebens beschreibt. Ähnlich verhält es sich mit der historischen Zeit,
deren große politische Ereignisse während der letzten Jahrzehnte meist aus den
Erzählungen ausgeblendet bleiben.
10 Vgl. Kapitel 3.4.35–3.4.50.
Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Title
- Erzählen vom Leben im 20. Jahrhundert
- Subtitle
- Erinnerungspraxis und Erzähltraditionen in lebensgeschichtlichen Interviews am Beispiel der Region Montafon/Vorarlberg
- Publisher
- StudienVerlag
- Location
- Innsbruck
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- Size
- 15.8 x 23.4 cm
- Pages
- 464
- Keywords
- Oral history, biographical narratives, narrative traditions, lebensgeschichtliches Erzählen, Erzähltraditionen
- Category
- Geographie, Land und Leute
Table of contents
- Vorwort 11
- Einführung 13
- 1. Kritik des lebensgeschichtlichen Erzählens 17
- 2. Quellenmaterial, Forschungsziel und Auswertung 47
- 3. Erinnerungspraxis und Traditionen lebensgeschichtlichen Erzählens 63
- 3.1. Einstiege in die lebensgeschichtlichen Erzählungen 63
- 3.2. Leitlinien des lebensgeschichtlichen Erzählens 67
- 3.3. Topoi in lebensgeschichtlichen Erzählungen 71
- 3.4. Lebensgeschichtliche Erzählstoffe und Mustererzählungen 73
- 3.4.1. Sagenhaftes von den AhnInnen 74
- 3.4.2. AhnInnen als GastarbeiterInnen 78
- 3.4.3. Traditionelle Landwirtschaft 84
- 3.4.4. Zuerwerb zur Landwirtschaft 98
- 3.4.5. Niedergang der traditionellen Berglandwirtschaft 104
- 3.4.6. Modernisierung 112
- 3.4.7. Alltag im traditionellen Gefüge 127
- 3.4.8. Bräuche und Gewohnheiten 136
- 3.4.9. Armut und einfache Verhältnisse 152
- 3.4.10. „Harte, arbeitsame Kindheit“ 162
- 3.4.11. Idyllisierung der einfachen Verhältnisse 173
- 3.4.12. Lausbuben- und Schulgeschichten 175
- 3.4.13. Autoritäten 183
- 3.4.14. Die 1930er Jahre und die „Tausend-Mark-Sperre“ 190
- 3.4.15. Der „Anschluss“ und seine Bedeutung für die MontafonerInnen 195
- 3.4.16. NS-Propaganda in der Schule 210
- 3.4.17. In der Hitlerjugend 213
- 3.4.18. Im (Un-)Wissen um die NS-Verbrechen 221
- 3.4.19. Repressives NS-System 230
- 3.4.20. Auflehnung und Widerstand 235
- 3.4.21. Schwarzhandel, Schwarzschlachten, Schwarzhören 237
- 3.4.22. Kriegsbeginn und die „verlorenen Jahre“ 243
- 3.4.23. Von den Schrecken des Krieges 252
- 3.4.24. Gefangenschaft 263
- 3.4.25. Heimkehr 268
- 3.4.26. Krieg in Vorarlberg 273
- 3.4.27. Flüchtlingsgeschichten 278
- 3.4.28. Von Kriegsgefangenen und ZwangsarbeiterInnen 287
- 3.4.29. Von Deserteueren und „Waldhockern“ 294
- 3.4.30. Die drohende Staumauersprengung im Vermunt 297
- 3.4.31. Kriegsende 301
- 3.4.32. „Heimatverteidiger“ und Widerstandsbewegung bei Kriegsende 304
- 3.4.33. Die französische „Besatzung“ und die „Marokkaner“ 309
- 3.4.34. Entnazifizierung 324
- 3.4.35. Armut und einfache Verhältnisse in der Nachkriegszeit 329
- 3.4.36. Schmuggeln und Schmugglergeschichten 333
- 3.4.37. Wildern und Wilderergeschichten 337
- 3.4.38. Beruflicher Werdegang und Ausbildung 340
- 3.4.39. Wirtschaftlicher Aufschwung in der Nachkriegszeit 349
- 3.4.40. Neu-Anfang mit dem Tourismus 353
- 3.4.41. Urlaube mit der Familie 366
- 3.4.42. Liebe und Ehe 370
- 3.4.43. Geburt der Kinder 381
- 3.4.44. Unfälle und Krankheiten 385
- 3.4.45. Umgang mit dem Altern 393
- 3.4.46. Umgang mit Tod und Verlust 395
- 3.4.47. Naturkatastrophen 400
- 3.4.48. Mystisches und rätselhafte Begebenheiten 406
- 3.4.49. Kultur- und Jugendpessimismus 411
- 3.4.50. Geschlechterrollen und -bilder 414
- 4. Zusammenfassung und Synthese 421
- 5. Verzeichnisse und Nachweise 439