Seite - 22 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
Bild der Seite - 22 -
Text der Seite - 22 -
GEWALT IM
COMPUTERSPIEL20
liege jeder Tätigkeit Struktur zugrunde, doch durch alltägliches Tätigsein verän-
dere sich diese Struktur bereits und sie sei somit in einen permanenten Wand-
lungsprozess eingebunden. Bourdieu leitet daraus den Begriff des Habitus ab.
Habitusformen fungieren als
„Systeme dauerhafter und übertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die
wie geschaffen sind, als strukturierende Strukturen zu fungieren, d.h. als Erzeugungs- und
Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst
sein können, ohne jedoch bewusstes Anstreben von Zwecken […] vorauszusetzen“.32
In diesem Denken sind soziale Tätigkeiten weder durch äußere Bedingungen
vollständig determiniert noch unterliegen sie der bewussten Kontrolle durch in-
dividuelle Subjekte. Praxistheorien lösen sich nicht nur von strukturalistischen
Paradigmen, sondern zugleich von der Vorstellung, dass sich einzelne Indivi-
duen erst einen Überblick über ihre Handlungsmöglichkeiten verschaffen und
dann, ihrem persönlichen Interesse folgend, intentional vorgehen. Aus praxisthe-
oretischer Perspektive sind die Motive unseres Handelns, wie Karl H. Hörning
schreibt, „Ergebnisse unserer Handlungsweisen und nicht umgekehrt. Wir spre-
chen über Motive, weil wir handeln, wir handeln nicht, weil wir Motive haben.“33
Um das zu betonen, wird der Begriff des Handelns oder der Handlung in
den Begriff Praxis überführt.34 Praxis meint eben nicht das intentionale Handeln
eines Subjekts, sondern einen Prozess aus Tätigkeiten. Subjekte und ihre Motive
sind zwar Teil dieses Prozesses, aber sie sind ihm nicht vorgelagert, sondern wer-
den erst durch ihn konstituiert: „[T]he status of human beings as ‚subjects‘ (and
‚agents‘) is bound to practices“,35 formuliert Schatzki und fügt an anderer Stelle
mit Bezug auf die Arbeiten Judith Butlers hinzu: „[I]ndividuals ultimately exist by
virtue of the incorporation of human bodies into social practices wherein they be-
come expressive bodies.“36 Streng genommen existieren aus praxistheoretischer
Perspektive also Subjekte nicht jenseits von Tätigkeiten. Nur insofern ein Subjekt
sich bewegt, denkt und fühlt sowie in soziale und diskursive Prozesse eingelagert
ist, ist es ein Subjekt. Aus diesem Grund sprechen Praxistheorien selten von Sub-
jekten, sondern stattdessen von Akteuren.
32 | Bourdieu: Sozialer Sinn, S. 101.
33 | Hörning: Experten des Alltags, S. 164.
34 | Gregor Bongaerts weist allerdings darauf hin, dass die oftmals zugespitzte Unter-
scheidung zwischen klassischen Handlungstheorien und neuen Praxistheorien proble-
matisch ist. Vgl. Gregor Bongaerts: Soziale Praxis und Verhalten – Überlegungen zum
Practice Turn in Social Theory. In: Zeitschrift für Soziologie 36 (2007), H. 4, S. 246-260,
hier: S. 251-252.
35 | Schatzki: Introduction, S. 20.
36 | Schatzki: Social Practices, S. 47.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364