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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL188
dem Thema Panzer dann auch bereits einen Spezialbericht. „Trotz oder gerade
wegen des morbiden Glamours einer alles niederwalzenden Kampfmaschine“, so
der Autor, „üben die stählernen Kolosse eine eigenwillige Faszination auf uns
aus.“269
Um diese eigenwillige Faszination anhand zeitgenössischer Materialien zu
beschreiben, hilft ein Ausschnitt aus der teilnehmenden Beobachtung im Mul-
tiplayer-Ego-Shooter Heroes and Generals. Dieses Spiel ist im Zweiten Weltkrieg
angesiedelt. Die Wehrmacht kämpft mit Infanterie, Jeeps, Flugzeugen und Pan-
zern gegen die genauso bewaffneten Alliierten. Dass meine Spielergruppe, die
mir schon seit vielen Monaten auch aus anderen Spielen bekannt war und die re-
gelmäßig zusammen ganze Nächte durchzockte, hier auf Seiten der Wehrmacht
spielte, fand keines ihrer Mitglieder bedenklich. Wenn sie auf meine Nachfrage
hin meinten, dass sie „natürlich die Deutschen“ spielen, konnte man deutlich das
süffisante Grinsen hinter dem Tabubruch hören (FT). Und so zogen wir – manch-
mal begleitet von scherzhaft gemeinten Sprüchen wie: „Das wird ein richtiger
Blitzsieg, Forscher!“ (FT) – jede Runde aufs Neue in den Kampf.
Meine Mitspieler Bolli und Kunzen hatten vor Beginn einer Runde beide neue
Panzer erworben. Bolli hatte tagelang dafür zahlreiche Kills im Spiel gemacht,
um sich mit dem verdienten Ingame-Geld seinen Panzer zu kaufen. Kunzen hatte
dagegen kurzerhand zehn Euro Echtgeld investiert, um sich seinen Panzer als
Zusatzinhalt freizuschalten (eine gängige Möglichkeit in sogenannten Free-to-
Play-Games). „Das ist hammer das dicke Geschütz, Kunzen!“, rief Bolli seinem
Kumpel hörbar aufgeregt zu, als die Runde begann. Zur Antwort imitierte Kun-
zen lachend das Geräusch der Panzerketten: „Rumpeldibumpel!“ So fuhren sie
los, um an der Front mal richtig „double action“ zu machen, wie sie sagten. Sie
postierten sich auf einer Seite eines Flusses. Gegenüber in einem französischen
Dorf hatten sich die Alliierten verschanzt, doch Kunzens und Bollis Panzerkano-
nen reichten weiter als die der Feinde. „Die kriegen so einen reingedönert, das
glaubst du gar nicht!“, kündigte Bolli an, und auch Kunzen kam aus dem Staunen
über seinen Panzer gar nicht mehr raus: „Boah ist das böse das Teil, Alter!“ (FT)
Nachdem sie eine Weile an der Front waren und ihre explosiven Geschosse
zahlreiche Gegner vernichtet hatten, durfte auch Bolli mal auf den Fahrersitz von
Kunzens neuem Schmuckstück steigen. Da Kunzen Echtgeld investiert hatte, war
sein Panzer noch größer und mächtiger als Bollis. Auch ich selbst war mit mei-
nem Avatar inzwischen angekommen, durfte aber nur als Passagier unten im
Panzer sitzen. Bollis und Kunzens Begeisterung kannte derweil keine Grenzen:
„Alter, das ist ja die richtig dicke Kiste, Kunzen!“; „Der schockt […] richtig!“; „Was
ist denn das für ne Kanone, Alter (macht Schussgeräusch nach)! Die wummst
richtig krass!“; „Hört sich auch geil an, ne?“; „Alter, die Dinger sind so dick und
groß, das ist so megaheftig!“; „Boah, ich hoff, ich hab den [Panzer, C.B.] auch
269 | Michael Hengst: Panzer-Parade. In: Power Play (1992), H. 8, S. 120-123, hier: S.
120. http://www.kultboy.com/pic/396/
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364