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VIRTUELL-KÖRPERLICH 155
Slender arbeitet dabei nicht nur mit einer gekonnt evozierten Spannung, die
Heider als „Grauen“ beschreibt, sondern durch das unerwartete Erscheinen des
Slenderman kommt es zugleich immer wieder zu Schreckmomenten. Diese sind
Momente des Übergangs zwischen Spannung (erwarteter Bedrohung) und Stress
(akuter Bedrohung).199 In Let’s Play-Videos von Horrorspielen werden sie verbal
durch Schreie oder durch Ausrufe wie „Wou!“ hervorgehoben.
Genau wie Stress und Spannung wird auch die eigentlich negativ konnotierte
Erfahrung des Erschreckens im Spielprozess positiv umgedeutet. Auf den Punkt
bringt das der Let’s Player Hardi, als er in Dead Space 3 durch die dunklen Flure
eines von Monstern beherrschten Raumschiffs schreitet und gerade einige seiner
Widersacher mit einer Spezialfertigkeit in ihre Einzelteile zerlegt (empfohlenes
Beispiel).200 Hardi hat längst durchschaut, dass die Monster sich oft nur tot stellen
und dann plötzlich erneut angreifen. Deshalb wendet er einen Trick an, um mit
seiner Spezialfertigkeit aus der Ferne zu prüfen, ob sie wirklich tot sind, und um
so den Schreckmomenten zu entgehen. „Und wenn […] diese Kinese [Spezialfer-
tigkeit, C.B.] aus der Ferne nicht funktioniert“, fachsimpelt er gerade, „kann man
davon ausgehen, dass er…“ – da springt plötzlich lautstark hinter seinem Avatar
ein Monster hervor und greift ihn an – „noch am Leben ist!“, schreit Hardi er-
schrocken auf, reißt seinen Avatar herum, schießt dem Monster die Beine ab und
in den Kopf. Zur Sicherheit wendet er den besagten Trick an und stellt fest: Das
Monster ist wirklich tot. „Ja…“, Hardi atmet erleichtert aus, dann lacht er: „Das ist
das, was ich an Dead Space liebe, ja? Ohne Spaß, ich hasse diese Momente.“
Dass die medial vermittelte Widerfahrnis von Computerspielgewalt bezie-
hungsweise die durch sie mobilisierten emotionalen Erfahrungen zugleich ge-
liebt und gehasst werden, beziehungsweise geliebt werden, weil sie gehasst wer-
den, verweist auf ein auch abseits von Computerspielen diskutiertes Phänomen.
Der Theater-, Kunst- und Medienwissenschaftler Jörg von Brincken versteht Com-
puterspiele (insbesondere Horrorspiele) als „moderne technische Vehikel“ der äs-
thetischen Kategorie des Erhabenen.201 Letztere mache „innerhalb der Geschichte
von Philosophie und Ästhetik […] das Fremdartig-Bedrohliche der empirischen
Realität, ihr Großartiges, Weites, Unberechenbares und den Schrecken, der davon
199 | Intensiviert und verlängert wird dieser Übergang häufig durch ankündigende
Soundeffekte. Vgl. dazu auch Perron: Sign of a Threat, o.S.
200 | PietSmiet (Hardi): Let’s Play Dead Space 3 #002 [Deutsch] [HD] - Einfach elektri-
sierend (8.2.2013), 2:00-2:35. https://www.youtube.com/embed/QP6RjCcVQSs?start=
120&end=155
201 | Jörg von Brincken: Die Lust am Schrecken. Zur Erfahrung des Erhabenen als ästhe-
tischer Dimension von Gewalt- und Horrorspielen. In: Ders./Horst Konietzny (Hg.): Emo-
tional Gaming. Gefühlsdimensionen des Computerspielens. München 2012, S. 219-238,
hier: S. 222; vgl. zur Kategorie des Erhabenen im Zuge der Untersuchung ästhetischer
Erfahrungen im Alltag auch Maase: Der Banause und das Projekt schönen Lebens, S. 251.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364