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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL164
sein ganzer physischer Körper und er starrt mit weit aufgerissenen Augen auf den
Bildschirm: „Fuck! Fuck!“, kommentiert er panisch. „Ich werd ihn nicht mehr los
gerade!“ Zwischendurch lächelt er aber auch wieder, etwa wenn er ironisch kom-
mentiert, das Gratisspiel wäre bestimmt „gesponsert von den deutschen Herzchi-
rurgen“. Dann verkrampft er erneut. Abwesend kommentiert er: „Ich hätte nie
gedacht, dass mich das so mitnimmt.“ Auch der zuschauende Daniel kann seine
Distanz nicht dauerhaft wahren. In der fünfzehnten Minute kommentiert er, da
wolle er schon gar nicht mehr hingucken. Der spielende Martin fährt ihn prompt
mit ernstem Tonfall an: „Du guckst da gefälligst hin! Ich guck da nicht alleine
hin! Das macht mich fertig.“ Dann atmet er wieder heftig ein und aus.
Doch selbst nach diesen Strapazen hatte Martin nicht mit dem Ende gerech-
net, das ihm nun blüht.224 Wie zuvor erwischt ihn der Slenderman, begleitet vom
bekannten Schreckgeräusch. Martin fährt heftig zusammen, reißt die Augen auf
und beginnt nun deutlich zu hyperventilieren. Dann bricht das Spiel aber plötz-
lich ab. Ratlosigkeit macht sich auf den Gesichtern der Let’s Player breit – ist
das Spiel wieder abgestürzt? Dann kommt das Bild ruckartig zurück: Das weiße,
formlose Gesicht des Slenderman ist ganz nah, füllt den kompletten Bildschirm
aus, dazu wieder ein erschreckender Sound. Wieder zuckt Martin zusammen,
schreit auf. Doch nochmal verschwindet das Bild, nochmal denkt Martin, es ist
vorbei, aber noch einmal kommt auch das schrille Störsignal und Slendermans
Antlitz zurück. Martin erschreckt sich auch dieses dritte Mal heftig. Erst dann
erlischt das Bild gänzlich. Daniel atmet einmal tief durch – dann lacht er. Martin
hingegen schüttelt ernst den Kopf: „Ey, das war’s für heute.“
Seine Mitgenommenheit zeigt, wie fragil die Balance des spielerischen Um-
gangs mit der Affizierung des eigenen physischen Körpers ist. Wo das Vergnügen
in dieser Affizierung gesucht wird, liefern sich die Akteure ihr auch bis zu einem
gewissen Grad aus. Aus ethnografischer Perspektive ist dabei kaum zu beantwor-
ten, warum der eigene Körper durch Spielprozesse wie diesen so stark affiziert
wird – mögliche Faktoren sind sowohl evolutionsbiologisch geprägte körperliche
Dispositionen wie beispielsweise Angst vor der Dunkelheit, aber auch kulturell
geprägte emotionale Routinen im Umgang mit Horrorfilmen und -spielen. Für
die Frage nach den gemachten emotionalen Erfahrungen ist vielmehr entschei-
dend, wie die Spieler mit der Affizierung ihrer physischen Körper umgehen. Die
Let’s Play-Videos demonstrieren, dass im Zentrum dieses Prozesses eine Praxis
des Sich-selbst-Auslieferns steht.
Damit haben Computerspiele an einer populärkulturellen Entwicklung Teil,
die signifikant für das beginnende 21. Jahrhundert ist. Deutlich machen diese
Entwicklung Thomas Alkemeyer u.a. in ihrer Einführung zum Sammelband
„Aufs Spiel gesetzte Körper“, in der sie Risikosportarten im Kontext einer Kon-
junktur körperlicher Praxisformen in der Freizeit beleuchten. Im Gegensatz zu
224 | Ebd., 15:30-16:40. https://www.youtube.com/embed/5Ri0TRRxTJ0?start=930&e
nd=1000
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364