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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL190
3.3.2 Looten und Leveln
Wir fuhren gerade in einem schrottreifen Auto mit unserer Truppe durch Bilgrad
und wollten eigentlich gleich nach Cherno zum Hafen weiter, weil man dort gute
Bauteile für Fahrzeuge und ähnliches finden konnte. Keiner in unserer DayZ-
Truppe hatte aber eine halbwegs brauchbare Waffe dabei, mit der wir uns effektiv
gegen die computergesteuerten Zombies oder menschlichen Gegenspieler hät-
ten verteidigen können. Wir hielten also an und stiegen aus dem Auto, ich selbst
machte mich schnurstracks auf den Weg zur leerstehenden Polizeiwache. An die-
sem Ort, das wusste jeder erfahrene Spieler, gab es eine gewisse Chance, gute
Waffen zu finden. Als ich das Gebäude betrat, sah ich zuerst nur überall Müll
herumliegen. Ich war enttäuscht. Auch im zweiten Raum: nichts. Dann erinnerte
ich mich, dass mir ein Mitspieler geraten hatte, immer auch unter dem Tisch
nachzusehen. Ich bückte mich also mit meinem Avatar und traute meinen Augen
kaum: eine DMR! Zum ersten Mal, seit ich mit meiner Gruppe auf diesem Server
spielte, hielt ich dieses seltene und durchaus tödliche Scharfschützengewehr in
den Händen. Aufgeregt verkündete ich meinen Fund im Sprachkanal. Alle an-
deren waren ebenfalls ganz erstaunt und auch ein wenig neidisch. Einer meiner
Mitspieler kommentierte noch, was ich doch für ein Schwein habe, zufällig so
eine gute Waffe zu finden: Das sei ja wirklich geil.
Die Waffen, Rüstungen und Kampfmaschinen in Actiongames – so viel wird
hier klar – sind nicht immer von vornherein für jeden Spieler zugänglich. Meist
muss man sie sich durch tage-, wochen- oder monatelangen Einsatz verdienen.
Diese Art der Anstrengung ist aber nicht nur Mittel zum Zweck, sondern sie ist
im Prozess ludisch-virtueller Gewalt eine Erfahrungsfacette von eigener Qualität.
In Multiplayer-Game Dayz beispielsweise starten Spieler mit ihrem Avatar nur
mit sehr wenig Ausrüstung und keinerlei Waffen, um ihr Überleben gegen die
herumirrenden computergesteuerten Zombies verteidigen zu können. Da jeder
Avatar außerdem Nahrung zu sich nehmen muss, sind sie gezwungen, in Häu-
sern oder leerstehenden Fabrikhallen nach den Überbleibseln der Zivilisation
zu suchen. Die Gegenstände – meistens Müll, manchmal Nahrung, selten Waf-
fen – liegen vor allem auf dem Fußboden verstreut. Spieler müssen ihren Avatar
zum Gegenstand bewegen und ihn per Tastendruck aufheben. Die Praxis des
Suchens, Findens und Aufhebens von Gegenständen wird als „Looten“ bezeich-
net, eine deutsche Abwandlung des englischen Begriffs „looting“ für „Plündern“
oder „Erbeuten“. (FT) Mit dieser Praxis verbringen DayZ-Spieler einen Großteil
ihrer Spielzeit. Gegenstände „spawnen“ beziehungsweise erscheinen an einem
Ort nach einem Algorithmus, der festlegt, mit welcher Wahrscheinlichkeit in wel-
chen Gebäuden und mit welcher zeitlichen Frequenz welche Gegenstände auftau-
chen. (FT) Ein Gebäude kann beim ersten Besuch durch einen Spieler leer sein.
Entfernt er sich für eine Weile und kommt wieder, kann dort ein neuer, mögli-
cherweise wertvoller Gegenstand bereitliegen. So belagern manchmal Gruppen
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364