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GEWALT IM
COMPUTERSPIEL196
oder Tränke, aber auch diese beeinflussen die verschiedenen Attribute und Fähig-
keiten des Avatars und beziehen somit ihre Funktion genau wie Waffen und Rüs-
tungen einzig aus ihrem Nutzen im Kampf gegen Gegner. Mit anderen Worten:
Die unmittelbare Freude an einem guten Fund oder an einem Stufenaufstieg mag
sich auf die Weiterentwicklung des eigenen Avatars beziehen, doch entwickeln
kann sich jeder Avatar meist nur in seinen Aktions- und Widerstandspotenzialen
in Bezug auf ludisch-virtuelle Gewalt. Die Freude am Weiterentwickeln setzt den
Prozess ludisch-virtueller Gewalt voraus.
Sich etwas erarbeiten
Insbesondere in MMORPGs kann der Prozess des Lootens und Levelns einen von
den Spielern als positiv empfundenen Sog entwickeln. Manche sprechen regel-
mäßig davon, dass sie wieder eine Nacht lang „durchgesuchtet“ haben. (FT) Die
Begriffsbildung „Suchten“ ist unter Spielern aber keinesfalls ein negativ konno-
tiertes Wort, wie es die öffentlichen Diskurse rund um Computerspielsucht na-
helegen würden, sondern vermittelt vielmehr die Freude an der völligen Hingabe
an das Spiel, insbesondere an jenen Prozess der permanenten Aufrüstung und
Weiterentwicklung. Als ich eines Vormittags online kam, verkündete beispiels-
weise Julia stolz, sie habe die Nacht durchgespielt und sei jetzt auf Stufe 27. „Imba
halt!“, kommentiertete sie, verweisend auf die Kurzform „imba“ für „imba lanced“,
was heißen sollte, dass ihr Avatar durch ihren unermüdlichen Einsatz unver-
hältnismäßig stark geworden war. Als später ihr Freund Tommy, dessen Bruder
MauMau und noch ein anderer Kumpel im Sprachkanal waren, lobten sie Julias
Leistung. „Die ist ja auch knallhart!“, kommentierte MauMau anerkennend und
Tommy lachte voll Stolz auf seine Freundin bestätigend auf. (FT)
Auch ich selbst konnte in meinen über 300 Stunden Spielzeit in TESO, ob-
wohl das im Vergleich zu anderen Vielspielern wenig ist, das Vergnügen am Loo-
ten und Leveln erleben. Einerseits wiederholen sich im Kampf gegen die Compu-
tergegner die Erfahrungen von Effektstaunen, Einschlagslust, Gekonntheit und
Eleganz, doch hinzu gesellt sich der fesselnde Eindruck, durch Entbehrungen
und virtuell-körperliche Mühe etwas erreicht zu haben. Nicht umsonst wird bei-
spielsweise auch die Spielstrategie der repetitiven, massenhaften Vernichtung
von Gegnergruppen zum Zweck der Erfahrungspunktegenerierung als „XP-Far-
ming“ bezeichnet, also als das Farmen von Erfahrungspunkten, oder auch als
„Grinden“, eine Abwandlung des englischen Begriffs „grinding“ für (mühevolles)
„Schleifen“ oder „Zermahlen“. (FT) Durch solche Bezeichnungen wird hervorge-
hoben, dass die entsprechenden Praktiken als Arbeit empfunden werden.274 Diese
kann auch negativ konnotierte Erfahrungen einschließen, gerade bei der ermü-
denden und repetitiven Vernichtung der immer gleichen Gegner, doch zugleich
wird sie in der Gesamtbilanz emotional als positiv bewertet. Es geht dabei um
274 | Vgl. dazu auch Nick Yee: The Labor of Fun. How Video Games Blur the Boundaries
of Work and Play. In: Games and Culture 1 (2006), H. 1, S. 68-71.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364