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DRAMATISCH UND DEVIANT 255
wir Wut, Trauer, Schmerz -- und sind auf einer anderen Ebene gleichzeitig voller Bewun-
derung für dieses Spiel, weil es solch starke Emotionen in uns hervorzurufen vermag.“17
Deutlich demonstriert diese Beschreibung eines Spielmoments, wie die als un-
gerecht gedeutete Widerfahrnis ludisch-virtueller Gewalt Gefühle von „Wut“ und
„Trauer“ mobilisiert (s.o.). Ein Zusammenspiel dieser beiden Gefühlsdimensio-
nen wird auch in anderen Actiongames heraufbeschworen. Immer wieder verlie-
ren die Avatare innerhalb des Narrativs ihre Freunde, Kameraden, Geliebten oder
Kinder durch widerfahrene virtuelle Gewalt, oder sie beobachten grausame Sze-
nen, beispielsweise die Folter oder Exekution von unschuldigen Zivilisten durch
die computergesteuerten Gegner. Ausgeübt werden diese Gräueltaten meist durch
einen oder mehrere Hauptantagonisten oder durch deren Untergebene.
Unter den Let’s Playern reagieren manche ironisch-distanziert auf solche Mo-
mente, andere lassen sich auf das narrative Angebot ein. Insbesondere Sarazar
bringt seine Einfühlung in dramatische Momente gerne zum Ausdruck. So auch
in der LP-Reihe zur Neufassung von Tomb Raider von 2013, in der sein Avatar Lara
Croft gemeinsam mit Freunden auf einer von kriminellen Sektierern bevölkerten
Insel strandet. Erzählt wird hier die Jugendgeschichte von Lara, die anfangs noch
nie einen Menschen getötet hat, aufgrund der gleich zu Beginn erfahrenen Bedro-
hungen (Konfrontation mit Menschenopfern, Angriff auf ihr Leben oder das ihrer
Freunde, eine versuchte Vergewaltigung) aber schnell zu den Waffen greift und
die computergesteuerten Gegner bald zu Hunderten vernichtet. Die Widerfahr-
nis ungerechter Gewalt kehrt im Spielverlauf regelmäßig wieder, indem mehrere
von Laras engen Vertrauten durch den Hauptantagonisten oder dessen Schergen
getötet werden. Als Höhepunkt opfert sich Laras väterlicher Freund Roth für sie,
indem er in einer Zwischensequenz eine auf Lara gerichtete tödliche Wurfaxt
des Sektenführers Mathias mit seinem Körper abfängt und stirbt. Sarazar bringt
seine Traurigkeit über diesen Vorfall nicht durch eine explizite Beschreibung sei-
ner Gefühle zum Ausdruck, sondern er – der sonst meist lebendig kommentiert
– schweigt für fast fünf Minuten, bis er mit bedrückter Stimme murmelt: „Ruhe
in Frieden, Roth.“18
Auch die ZuschauerInnen nehmen in ihren Kommentaren zahlreich Bezug
auf diesen Moment. Manche unterstreichen das Sich-Einlassen auf dessen Dra-
matik, andere bevorzugen, sich davon zu distanzieren oder sich darüber lustig zu
machen. Einige Beispiele:
17 | Daniel Matschijewsky: So beendet man ein Epos. Mass Effect 3 im Test. In: Gamestar
(6.3.2012). http://www.gamestar.de/spiele/mass-effect-3/test/mass_effect_3,45851,
2565294.html
18 | Sarazar: Let’s Play Tomb Raider #024 - Panik und Verzweiflung [Full-HD] [Deutsch]
(25.3.2013), 4:55-5:05. https://www.youtube.com/embed/LDh_EyVUtm8?start=295&e
nd=305
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364