Seite - 260 - in Gewalt im Computerspiel - Facetten eines Vergnügens
Bild der Seite - 260 -
Text der Seite - 260 -
GEWALT IM
COMPUTERSPIEL258
in narrativen Angeboten „mit Hilfe unserer eigenen Imaginationen zum Leben
erwecken.“25 Er schreibt:
„Um aus Worten Charaktere werden zu lassen, die uns interessieren und emotional zu-
sprechen, müssen wir ihnen mit Hilfe unserer Vorstellungen, Gefühle und Körperassozia-
tionen Gestalt verleihen. Zwar geschieht das auf der Grundlage von Textvorgaben, doch
bedürfen diese der ‚Übersetzung‘ mittels der eigenen Vorstellungs- und Gefühlswelt, um
jeweils Realität und Bedeutung zu gewinnen.“26
Das gelte nicht nur für die Literatur, sondern auch für den Film, wo wir die Fi-
guren zwar visuell detailreich vor uns sehen, sie aber dennoch „im Rezeptions-
akt mit Hilfe eigener Vorstellungen und Gefühle konkretisieren“ müssen.27 Dass
Fluck dabei auch von „imaginärer Selbstermächtigung“ spricht, bedeutet nicht
automatisch, dass sein Modell einen klassischen Subjekt- und Handlungsbegriff
voraussetzt:
„Wir müssen nicht nur den Hauptfiguren Gestalt verleihen mit Hilfe eines Transfers, son-
dern auch den Konflikten, dem fiktiven Raum und sogar dem Wetter, und wir können
dies immer nur mit Hilfe unserer eigenen Vorstellungswelt, unserer eigenen Gefühle und
unseres eigenen Körpergefühls tun. Das aber heißt, dass wir im Prozess der Realisierung
eines ästhetischen Objekts unsere Interiorität (hier nicht verstanden im Sinne von Sub-
jektivität, sondern noch nicht artikulierten Elementen unserer Vorstellungs- und Gefühls-
welt) über den gesamten Text ausbreiten. Dies ist mit der Rede von der imaginären Selbs-
termächtigung gemeint: nicht eine bloße imaginäre Wunscherfüllung oder ein Prozess
imaginärer Selbstüberhöhung, sondern die Ausdehnung der Interiorität des Rezipienten
über das eigene Selbst hinaus auf ein ästhetisches Objekt, das auf diese Weise zum
Ausgangspunkt ästhetischer Erfahrung wird.“28
Auch wenn Fluck nicht praxistheoretisch argumentiert, ist dieses Denkmodell
anschlussfähig an emotionspraxistheoretische Ansätze, insofern es grundsätzlich
eine Deutung des narrativen Rezeptionsakts als einen Prozess des doing emotion
erlaubt. Mit Bezug auf Wolfgang Iser hebt Fluck wiederholt hervor: „[L]iterarische
Darstellung [...] bedarf, um Bedeutung und Wirkung zu erlangen, eines Rezipi-
enten und ist insofern Teil eines Prozesses des Hervorbringens von Bedeutung,
den man als ‚performativ‘ bezeichnen kann.“29 Aus emotionspraxistheoretischer
Perspektive erscheint dann das, was Fluck als „Interiorität des Rezipienten“ be-
schreibt, als ein körpergebundenes Gefühlswissen der Akteure. Dieses birgt das
25 | Fluck: California Blue, S. 22.
26 | Ebd.
27 | Ebd., S. 23.
28 | Ebd., S. 23-24.
29 | Fluck: Funktionsgeschichte und ästhetische Erfahrung, S. 30.
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364