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DRAMATISCH UND DEVIANT 261
5.1.3 Gerechte Gewalt
Die Abneigung gegen die Gegner aufgrund der Widerfahrnis ungerechter Gewalt
kann dazu führen, dass ludisch-virtuelle Gewalt zum wünschenswerten Mittel
der Gegenwehr und Wiederherstellung von Gerechtigkeit wird. Auch dieser Pro-
zess basiert auf einem nicht-spielspezifischen common sense: Wo der Status quo
der Gewaltfreiheit durch ungerechte Gewalt gebrochen wurde, da kann die ihr er-
widernde Gegengewalt als gerecht gelten. Das trifft zumindest in Situationen zu,
in denen die gewöhnlichen gesellschaftlichen Rechtsmechanismen nicht mehr
greifen können, beispielsweise auf einer einsamen Insel voller gewaltbereiter Sek-
tierer (wie in Tomb Raider) oder im Krieg gegen die Armee eines fanatischen Dik-
tators (wie in Battlefield 4). Viele Actiongames erschaffen ein solches Narrativ des
Ausnahmezustands, in dem die Gegengewalt gegen ungerechte Gewalt erstens
moralisch einwandfrei, zweitens in besonderem Maße erwünscht und dadurch
drittens emotional besonders aufgeladen ist.
Zum besseren Verständnis dieses Prozesses hilft ein Konzept des Kommu-
nikationswissenschaftlers Jürgen Grimm, der in Bezug auf die Rezeption filmi-
scher Gewaltdarstellungen von einem „Robespierre-Affekt“ spricht.31 Der Begriff
bezieht sich auf Maximilien de Robespierre, der im Zuge der Französischen Re-
volution durch Massenhinrichtungen die ehemaligen MachthaberInnen für die
ausgeübten Ungerechtigkeiten bestrafte. Es geht Grimm dabei um eine in seiner
empirischen Rezeptionsforschung beobachtete Art der „tugendgeleiteten Aggres-
sion“, die aus der Darstellung von als ungerecht gedeuteter physischer Gewalt in
Spielfilmen resultiert.32 Zwar sind die verwendeten experimentellen Settings so-
wie Grimms Konzeptualisierung von Begriffen wie „Affekt“ und „Aggressivität“
nicht ohne Weiteres mit einer ethnografischen und emotionspraxistheoretischen
Perspektive vereinbar, doch seine zentrale Beobachtung hilft beim Verständnis
der narrativen Funktion von Repräsentationen physischer Gewalt:
„Entscheidend bei Phänomenen des Robespierre-Affekts ist die Konversion des eige-
nen oder stellvertretenden Opfererlebens in einen anscheinend moralisch legitimierten
aggressiven Radikalismus. Eine irgend geartete Nachahmung der Täter spielt hierbei kei-
ne Rolle, wohl aber die aggressive Wendung gegen Täter, die sich Gewalttaten schuldig
gemacht haben. Hieraus leitet der Gewaltbeobachter Strafansprüche ab, wie sie norma-
lerweise einer übergeordneten Instanz zustehen. Der Robespierre-Affekt vollendet die
Gewaltspirale im Beobachter, die, als ‚offene‘ wahrgenommen, mit ‚guter‘ Gewalt zum
Abschluss gebracht werden soll.“33
31 | Jürgen Grimm: Der Robespierre-Affekt. Nichtimitative Wege filmischer Aggressions-
vermittlung. In: tv diskurs 5 (1998), H. 2, S. 18-29.
32 | Ebd., S. 24.
33 | Ebd. [H.i.O.]
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364