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DRAMATISCH UND DEVIANT 269
dig konstruierte Vorwürfe sind. Fast alle Spieler partizipieren in Praktiken des
Ausraubens, Überfallens und hinterlistigen Tötens der Gegner. Aber fast alle fin-
den auch Gründe, warum sie selbst im Recht und die anderen im Unrecht waren.
Besonders augenfällig wird das in Spielen, wo es anders als in DayZ kaum
Entscheidungsfreiheiten und deshalb auch wenig Möglichkeiten gibt, sich unge-
recht zu verhalten. So ist im PvP-Modus des MMORPGs The Elder Scrolls Online
beispielsweise völlig klar, dass jederzeit alle Gegner mit allen zur Verfügung ste-
henden Mitteln getötet werden sollen. Einige meiner Mitspieler, mit denen ich
auf Seiten der „Blauen“ (also als einer durch die Farbe Blau markierten Fraktion)
gegen die „Gelben“ und „Roten“ kämpfte, fanden aber auch hier Gründe, um eine
der beiden gegnerischen Fraktionen als ungerecht darzustellen. (FT) Tarox kom-
mentiert im Interview: „Zum Beispiel, die Gelben sehen ganz genau: Wir [die
Blauen, C.B.] sind in der Unterzahl. Was machen die? Die greifen uns auch noch
an, obwohl die Roten beide Scrolls [wichtige Gegenstände, die es zu erobern gilt,
C.B.] haben, ja? Das sind zum Beispiel so Sachen, wo ich da nen Hals krieg.“ (IV13)
Für manche Spieler führt die wiederholte Erfahrung solcher Momente zu dem
Eindruck, dass alle Gelben (also viele Tausende Spieler) prinzipiell ungerecht han-
deln. Meine Mitspieler Tommy und MauMau ließen manchmal Sätze fallen wie:
„Ich verabscheue die Gelben“; „Ich hasse die Gelbe ja, denen gönn ich ja nicht
mal das Schwarze unter dem Fingernagel“; „Nur tote Gelbe sind gute Gelbe“; oder
Tommy merkte einmal an, er wolle „auch echt gerne den Gelben auf’s Fressbrett
geben. [...] Einfach nur aus Prinzip“. (FT)
Zu beobachten ist also ein Prozess der kommunikativen Konstruktion von
Feindschaft. Eine in diesem Kontext wichtige kommunikative Emotionspraxis ist
das bereits aus LP-Videos bekannte Beschimpfen der Gegner. Auch in Multiplay-
er-Games können die Gegner die Beleidigungen meist nicht tatsächlich hören
oder lesen. Zwar kann man sie über den Textchat in manchen Spielen direkt an-
schreiben, doch in DayZ gilt das Beschimpfen anderer Spieler meist als Tabu und
wird von den Admins (also VerwalterInnen) eines Spielservers manchmal auch
mit Verbannung von diesem Server bestraft. In TESO gibt es dagegen gar nicht
erst die Möglichkeit, die Spieler der anderen Seite über den regulären Textchat
anzuschreiben.
Völlig normal und legitim ist es aber, innerhalb des eigenen Sprachkanals die
Gegner zu beschimpfen, so dass diese es nicht hören, man aber seinem eigenen
Ärger Ausdruck verleihen kann. Die Bandbreite der Schimpfwörter ist hier ge-
nauso groß wie in LP-Videos. Dazu gehören beispielsweise Begriffe wie: „Noob“
[Neuling, C.B.], „Spast“, „Arsch“, „Sau“, „Dreckskind“, „Penner“, „kleine Ratte“,
„Hundesohn“, „Bastard“, „dummes Stück Scheiße“, „Motherfucker“, „Wichser“,
„Bitch“, „Schwuchtel“ oder „Faggot“. (FT) Dass die Betroffenen diese Beschimp-
fungen weder hören können noch sollen, verweist auf die spezifische Funktion
dieser kommunikativen Emotionspraxis in Multiplayer-Games. Es geht nicht dar-
um, den Gegnern die eigene Abneigung tatsächlich zu signalisieren, sondern sie
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364