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DRAMATISCH UND DEVIANT 281
darf den in unserer Gesellschaft geltenden feeling rules zufolge nicht im Gerings-
ten positive Emotionen auslösen – daher beispielsweise auch die besondere Scho-
ckierung über die Fotos grinsender US-Soldaten beim Foltern Gefangener, die in
den letzten Jahren in den öffentlichen Medien zirkulierten.
Ludisch-virtuelle Gewalt kann zum Spiel mit diesen Gefühlsregeln werden,
indem sie deren virtuelle Überschreitung beziehungsweise Transgression er-
laubt. Im ersten folgenden Kapitel stehen die Prozesse in Singleplayer-Games be-
ziehungsweise deren Repräsentation in LP-Videos im Vordergrund, im zweiten
die Dynamiken in Multiplayer-Games.
5.3.1 Humorvolle Inkongruenzen
Dass Singleplayer-Games Transgressionen etablierter feeling rules erlauben, ist
kein neues Phänomen. Bereits in den 1980er-Jahren erscheinen erste Spiele, in
denen man als Spieler die Rolle eines Gangsters oder auch eines fiesen Orks über-
nehmen kann. Die Tester des Adventures Knight Orc von 1987 freuen sich über
die Abwechslung: „Wow, das ist eine Idee, die wirklich ungewöhnlich ist: Dass
man die Rolle eines miesen, hässlichen und übelriechenden Orcs übernimmt,
statt wie üblich den tapferen Recken zu mimen, ist Spitzenklasse.“55 Und auch
manche Star Wars-Fans freuen sich, als sie 1994 nach unzähligen Computerspiel-
auftritten auf der „guten Seite der Macht“ endlich die Seiten wechseln dürfen:
„Darauf haben die Darth-Vader-Jünger [sozusagen Fans der ‚bösen Seite‘, C.B.] gewartet.
Endlich sausen wir an der Seite unserer Idole durch die Weiten des Alls und zerbröseln
einen X-Wing [Raumschiff der ‚guten Seite‘, C.B.] nach dem anderen – traumhaft. Das
Spielkonzept gefällt mir ungemein, auch wenn Skywalker-Fans [Fans des Hauptprotago-
nisten der ‚guten Seite‘, C.B.] ihre Probleme mit TIE-Fighter haben werden (‚Ich kann...
Schluck... doch nicht auf einen X-Wing schießen.‘).“56
Der besondere Reiz dieses (mit zuvor erschienenen Star Wars-Spielen technisch
fast identischen) Weltraum-Shooters bestand demnach gerade darin, dass man
das, was man nicht machen darf, eben doch tut – und sich dabei gut fühlt. Die
Transgression der feeling rules besteht nicht einfach in der Tätigkeit eines als
ungerecht gedeuteten virtuellen Handelns, sondern vielmehr darin, sich über
dieses Handeln auch zu freuen. Die Freude darüber ist ein Prozess der emotio-
nalen Überschreitung, ein deviantes Fühlen, das eine eigene Erfahrungsqualität
entfaltet.
55 | Boris Schneider/Anatol Locker: Knight Orc. In: Happy Computer Spielesonderheft 4
(1987), S. 59. http://www.kultpower.de/archiv/heft_happycomputer_spielesonderheft-4
_seite58
56 | Martin Hengst/Volker Weitz: TIE Fighter. The Dark Side. In: Power Play (1994), H. 9,
o.S. http://www.kultboy.com/index.php?site=t&id=2342
Gewalt im Computerspiel
Facetten eines Vergnügens
- Titel
- Gewalt im Computerspiel
- Untertitel
- Facetten eines Vergnügens
- Autor
- Christoph Bareither
- Datum
- 2016
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-8394-3559-5
- Abmessungen
- 14.8 x 22.5 cm
- Seiten
- 370
- Schlagwörter
- Gewalt, Videospiele, Mediensoziologie, Computerspiel, Kulturanthropologie
- Kategorie
- Medien
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung 7
- 2. Theorie und Methode 15
- 3. Virtuell-körperlich 93
- 4. Kompetitiv und kooperativ 199
- 5. Dramatisch und deviant 247
- 6. Ambivalent 297
- 7. Zusammenfassung und Ausblick 321
- Literatur und Anhang 333
- Literatur 333
- Verzeichnis der zitierten Computerspielzeitschriftenbeiträge 353
- Verzeichnis der zitierten YouTube-Videos 359
- Verzeichnis der geführten Interviews 364