Seite - 63 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Bild der Seite - 63 -
Text der Seite - 63 -
Vier Leitpanoramen | 63
lungen. Rechtlich gesehen, gestaltete es sich aber anders, zumal Graz zwischen
Mai 1915 und September 1915 zum Bereich der „Armee im Felde“ zählte. Die
dafür ausschlaggebenden Verordnungen können folgenderweise zusammengefasst
werden: Am 23. Mai 1915 wurde die politische Verantwortung in der Steiermark
an den (jeweiligen) Höchstkommandierenden übertragen (d. h. das Kronland
wurde de iure zum Bereich der „Armee im Felde“).239 Wenige Monate später, am
6. September 1915, wurde dieser Status zu dem eines „weitere[n] Kriegsgebiet[s]“
abgeändert.240 Am 14. Juni 1916 schieden die mittel- und obersteirischen Bezirke
(Gröbming, Liezen, Leoben, Bruck a.
d. Mur, Mürzzuschlag, Graz, Weiz, Hartberg
und Feldbach) mit Ausnahme von Murau und Judenburg wieder aus dem weiteren
Kriegsgebiet aus.241 Der Rest blieb dem militärischen Rechtsjargon zufolge „weite-
res“ Kriegsgebiet. Am 9.
Jänner 1917 wurden die entsprechenden Verordnungen242
von Kaiser Karl I. zur Gänze aufgehoben.243 Die hier exemplarisch angeführte
Rechtslage führte in der Praxis zu einer Verlagerung des Zivilen ins Militärische,
wenngleich in der Steiermark keine omnipräsente und omnipotente Militärdikta-
tur entstand.244 In Großbritannien und in Frankreich kam es während des Kriegs
dagegen zu keiner Dominanz des Militärs, wie sie für Deutschland nachgewiesen
wurde. In London und Paris herrschte eine gewisse Balance zwischen den beiden
„Polen“ (Militär und Zivilverwaltung), was als (zusätzlicher) Grund für ihren Sieg
angesehen werden kann.245
Viertes Leitpanorama: Vor 1914 galten Kriege im Großen und Ganzen als ge-
waltsame und leidvolle Ereignisse. Die Vorstellung, dass sich der nächste Krieg
über Jahre hinziehen würde, zählte – von einigen Menschen abgesehen – nicht
zum gedanklichen Allgemeingut.246 Letztendlich hatte der Krieg von 1918 mit dem
Krieg von 1914 auch nur mehr wenig gemein, dagegen sehr viel mit dem Zweiten
Weltkrieg.247 Viele jener Momente, die den Ersten Weltkrieg und seine Zeit am
239 Ich stütze mich hier auf das Reichsgesetzblatt für die im (cisleithanischen) Reichsrat vertretenen
Königreiche und Länder, vgl. RGBl. Nr. 133/1915.
240 RGBl. Nr. 262/1915.
241 RGBl. Nr. 179/1916.
242 RGBl. Nr. 153/1914; RGBl. Nr. 186/1914; RGBl. Nr. 133/1915.
243 RGBl. Nr. 18/1917.
244 Ich stütze mich hier auf die Arbeiten von Martin Moll, vgl. Moll (2007a); (2005); (2003); (2002a)
und (2000b). Anders dazu: Hautmann (1987). Grundlegendes zum Verhältnis zwischen dem Mi-
litär und der Zivilverwaltung rund um den Ersten Weltkrieg in: Förster (2014).
245 Winter (1999), 10 f.
246 Leonhard (2014), 121 f.; Deist (2002); Förster (1996). Vgl. ferner den Aufsatz „Frauen“ von Ute
Daniel in: Hirschfeld/Krumeich/Renz (22014), 116–134, 120.
247 Krumeich (2008), 69. Eine Bilanz über das Kriegsjahr 1914 in: Leonhard (2014), 250–264.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453