Seite - 95 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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Intensive Julipolemik | 95
genfurt verhaftet wurde (Brejc war ein führender Vertreter der slowenischen
Nationalbewegung in Kärnten). Endlich gelang es – so hieß es im Tagblatt – „den
berüchtigtsten Verbreiter der panslawistischen Idee in Kärnten“ zu verhaften.123
Die deutschnationale Diffamierung blieb aber nicht auf die „[s]lowenischklerikale
Heuchelei“124 in der Steiermark und Kärnten beschränkt. Genau genommen um-
fasste die Diffamierung nämlich alles, was in ihren Augen als „slowenisch“ bzw. als
„(süd)slawisch“ galt. Im Juli 1914 betrachtete man daher von dieser Seite die „Slo-
wenen“ eigentlich nicht mehr als „unzuverlässig“ im Falle einer möglichen Mobili-
sierung im Zuge eines wie auch immer ausbrechenden Kriegs, sondern bereits als
subversiv und auf serbischer Seite stehend. Der von deutschnationaler Seite prak-
tizierte historische Rekurs auf den „Königsmord“ in Serbien, die „Annexionskrise“
sowie die beiden Balkankriege (und deren weitreichende Auswirkungen für die
Steiermark)125 wurde dabei als „Garant“ für die deutschnationale Stellung zur Re-
gierung, zur Dynastie und zur römisch-katholischen Kirche sowie für ihr eigenes
repressives Engagement gegenüber den „Slowenen“ herangezogen. Und „Überle-
ben“ konnte der von ihr unaufhörlich artikulierte Primat des „Deutschtums“ (in
der Politik, in der Wissenschaft, in der Kunst) nur durch eine lang ersehnte Lösung
des alltäglichen Nationalitätenkonflikts. Auf dem „Deutschen Volkstag“ in Kla-
genfurt, einer mehrtägigen Großveranstaltung des deutschnationalen Milieus, der
wenige Tage vor dem Attentat auf das Thronfolgerpaar abgehalten wurde, demons-
trierten die (südösterreichischen) Deutschnationalen vielfach ihr Programm. Man
kämpfe gegen die „beutellüsternen Slowenen“.126 Jeder „Fußbreit der besitzgelieb-
ten deutschen Scholle“ wird „bis aufs Blut“ verteidigt.127 Der Umstand, dass stets
nur die südösterreichischen Deutschen „die Opfer des systemlosen Weiterwurs-
telns“ auferlegt bekommen würden, müsse aufhören.128 Den Deutschen fiele
schließlich mehr als nur „das Los eines Kulturdüngers für andere Völker“ zu.129 Sie
„sind die Vorhut gegen das mit aller Macht herandrängende Südslawentum, wel-
ches nunmehr auch in Kärnten das gemischtsprachige Gebiet zu slawisieren und
das deutsche gemischtsprachig zu machen sucht, um auf diesem Wegen seine tria-
123 Klagenfurt, 3. September. (Abrechnung mit den Serbenfreunden.), in: Grazer Tagblatt, 6.9.1914,
19. Die hier geäußerten Anschuldigungen hatten ein gerichtliches Nachspiel. Das katholische
Grazer Volksblatt berichtete darüber schadenfroh, vgl. Dr. Brejc contra „Grazer Tagblatt“, in:
Grazer Volksblatt, 20.12.1914, 9.
124 Slowenischklerikale Heuchelei, in: Grazer Tagblatt, 2.5.1914 (Abendausgabe), 1.
125 Erneut sei verwiesen auf: Moll (2007a), 136–171.
126 Der Deutsche Volkstag in Klagenfurt, in: Grazer Tagblatt, 22.6.1914 (Abendausgabe), 1.
127 Ebd.
128 Ebd.
129 Der Volkstag, in: Grazer Tagblatt, 22.6.1914 (Abendausgabe), 1.
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453