Seite - 108 - in Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
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| Sarajevoer Attentat und
Graz108
cke bringen können!“ Als Folge davon kolportierte der Arbeiterwille, dass Ungarn
zum „Schwergewicht der Monarchie“ wurde. Diese von ihm (und von allen ande-
ren Redaktionen auch) als unrechtmäßig erachtete Schieflage ließe daher die Be-
zeichnung einer „ungarisch-österreichische[n] Monarchie“ zu. Schließlich werde
in der ungarischen Hauptstadt „die Politik, von der Tod oder Leben von Hundert-
tausenden Österreichern abhängt“, nicht bloß verkündet, sondern „sie wird dort
auch gemacht oder wenigstens bestätigt.“ Die Vereinbarungen zwischen der un-
garischen Regierung und „den Hof- und Militärkreisen“ könne man ihm zufolge
„nur mehr stumpf und ergeben“ hinnehmen. Und das, was in Ungarn „bestätigt“
werde, stamme vom Außenministerium, wo „ja ohnehin noch der nackte Absolu-
tismus“ herrsche. Am Ende entscheide über „Krieg und Frieden“ nur der Kaiser,
da „weder Volk noch Volksvertretung“ gefragt würden.185 Als zentrale Nachrichten
bzw. Stellungnahmen, die aus Budapest (Ofen-Pest, Pest-Buda) kamen, galten die
Debatten im ungarischen Parlament.186 Das Tagblatt brachte seine Politbeobach-
tungen folgendermaßen zu Papier:
„Das ungarische Abgeordnetenhaus hatte gestern wieder einmal seinen ‚großen Tag‘. Die
großen Fragen der auswärtigen Politik, das Verhältnis der beiden Reichshälften zueinan-
der und die innerpolitischen Verhältnisse Ungarns wurden gestern einer eingehenden
Erörterung unterzogen. Wir in Österreich sind durch die dauernde Ausschaltung des
Parlaments bereits derart gewöhnt, das Schwergewicht der politischen Lage in Ungarn
zu erblicken, daß wir auch stürmische Auftritte und Ausschließungen, derentwegen wir
bei uns das Parlament anklagen würden, dort ruhig in Kauf nehmen und froh sind,
überhaupt etwas zu hören.“187
Seit Mitte Juli erfuhr die Kritik an der als „passiv“ wahrgenommenen „Abwar-
tepolitik“ bzw. an der „Beunruhigungspolitik“188 der cisleithanischen Regierung
zusehends an Intensität. Dabei wurde der Begriff des „haßerfüllten Gegners“
(Serbien) sehr früh zum zentralen außenpolitischen Schlagwort der bürgerlichen
„Julipresse“.189 Zu der Ansicht vom „kranken Mann an der Donau“, der endlich
185 Ebd.
186 Zwei sozialdemokratische Artikel hierzu: Vom ungarischen Abgeordnetenhause, in: Arbeiter-
wille, 8.7.1914, 9; Tisza über die Mordtat in Serajewo, in: Arbeiterwille, 10.7.1914, 2.
187 Eine große politische Debatte in Ungarn, in: Grazer Tagblatt, 23.7.1914 (Abendausgabe), 1.
188 Die südslavische Frage im ungarischen Parlament, in: Deutsche Zeitung, 19.7.1914, 2, 3.
189 Der Begriff des „haßerfüllten Gegners“ findet sich auch im kaiserlichen Manifest „An meine
Völker“ (verfasst am 28. Juli). An diesem kaiserlichen Manifest, das einen Tag nach der Kriegs-
erklärung an Serbien (28. Juli) in der bürgerlichen Grazer Presse abgedruckt wurde, lassen sich
Graz 1914
Der Volkskrieg auf der Straße
- Titel
- Graz 1914
- Untertitel
- Der Volkskrieg auf der Straße
- Autor
- Bernhard Thonhofer
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien - Köln- Weimar
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-20569-2
- Abmessungen
- 17.4 x 24.5 cm
- Seiten
- 510
- Schlagwörter
- Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918
Inhaltsverzeichnis
- Rahmenbedingungen 15
- Sarajevoer Attentat und Graz 69
- Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
- Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
- Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
- Intensive Julipolemik 88
- Der „Demarche-Rummel“ 99
- Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
- Fallende Börsenkurse 110
- Ultimatum an Serbien 112
- Lokalisierungsfrage 116
- Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
- Zur Trauerstimmung 122
- Innenstadt und Bahnhof 135
- Kein Telefonnetz 135
- Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
- Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
- Offengelegte Zeitungspolitik 151
- Unklare Mobilisierungsplakate 154
- Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
- Grazer „Feldlager“ 166
- Die letzten Tage im Juli 170
- Großbritannien und Italien 176
- Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
- Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
- Abschiedsszenen 194
- Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
- Ein „Denkmalfrevel“ 212
- Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
- Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
- Präventivzensur 227
- Erste „Soldatenerzählungen“ 234
- Grazer Frauenhilfskomitee 245
- Transportkolonne am Bahnhof 252
- Alltag und Einheitsprüfungen 257
- Arbeitslosigkeit 257
- Andrang auf die Geldinstitute 267
- Ausstattungsfrage und Postämter 276
- Hamsterkäufe 284
- Mietzins 299
- Kirchen und Friedhöfe 303
- Verlustlisten 318
- Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
- Ausschreitungen 333
- Demonstrationen vor Geschäften 340
- Über die „Sprachbereinigung“ 346
- Modeboykott 354
- Soldaten abseits der Truppe 363
- Neue Wachposten 374
- Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
- Pfadfinder und Wandervogel 389
- Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
- Diebstahl und Betrug 404
- Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
- Schlussbetrachtung 423
- Anhang 453