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Vor 1918
Graz 1914 - Der Volkskrieg auf der Straße
Seite - 141 -
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Abbruch der diplomatischen Beziehungen | 141 publizistisches Augenmerk. Diese (forschungspragmatische) Dreiteilung lässt sich auch für die verbliebenen Julitage feststellen.24 In den Gast- und Kaffeehäusern setzte sich neben dem demonstrativen „Hurrapatriotismus“ der Entwurf von di- versen Zukunftsszenarien fort. Was auf der verregneten Straße bereits erfolgte, verlagerte sich nun in die trockenen Gast- und Kaffeehäuser, die sowohl Getränke, Zeitungen und oft ein Telefon als auch Menschen zum Reden boten.25 Dort zirku- lierten und konkurrierten aufbauend auf das Geschriebene, Nichtgeschriebene 24 Einige Forscher und Forscherinnen unterteilen die unterschiedlichen Menschenansammlungen in den Tagen rund um den (jeweiligen) Kriegsbeginn in zwei oder mehrere Gruppen (Die Li- teraturhinweise stehen am Ende der Anmerkung). Der Politikwissenschafter Herfried Münk- ler unterscheidet die Menschenmengen in jene, bei denen eine viktime (=  passiv-schicksalhaft „zum-Opfer-werdende“) Grundstimmung vorherrschte und in jene, in der sich eine sakrifizielle (=  aktiv „sich-opfernde“) Gestimmtheit durchsetzte. Die erste Gruppe fiel zwar quantitativ gese- hen höher aus als die zweite Gruppe, sie konnte sich konträr zur zweiten aber nicht hegemonial durchsetzen. Eine andere Einteilung unternahm Jon Lawrence in seinem Aufsatz „Public space, political space“, der sich im zweiten Band von „Capital Cities at War“ befindet. Seine Dreiteilung („three sorts of crowd“) umfasst die neugierige, die kriegsgegnerische sowie die kriegsbefürwor- tende Gruppe. Die Gruppe der Neugierigen war nach Jon Lawrence aber bei Weitem die größte anzutreffende Gruppe. Andere Forscher und Forscherinnen zogen hingegen zur Analyse der Menschenmengen das Ritual-Konzept von Victor Turner (1920–1983) heran. Ein derartiges Un- terfangen entlang Turners Schlüsselbegriffen („Liminalität“, „Communitas“ etc.) unternahmen u.  a. Christoph Nübel, Martin Baumeister, Jeffrey Verhey und Robert Rutherdale. Rutherdale rekurriert auch auf den Collective-Behavior-Ansatz nach Ralph H. Turner (1919–2014) und Le- wis M.  Killian (1919–2010). Dort, wo man auf das Ritual-Konzept des schottischen Ethnologen und Anthropologen Victor Turner zurückgriff, zog man – mit Ausnahme von Martin Baumeister – auch das Konzept des Karnevals nach Mikhail Bakhtin (1895–1975) zur Analyse heran. Am deutlichsten zeigt sich die Verbindung der Konzepte von Turner und Bakhtin inklusive des (aus meiner Sicht problematischen) Begriffs „Panik“ bei der wegweisenden Studie von Jeffrey Verhey. Er unterscheidet die Menschenansammlungen von 1914 in begeistert/karnevaleske Gruppen, panisch/depressive Gruppen sowie in neugierige Gruppen. Die neugierigen Gruppen stellten für Verhey die demoskopische Mehrheit. Die panisch/depressiven Gruppen werden gemäß Jeffrey Verhey von jenen Menschen gebildet, die sich sichtlich über den Krieg besorgt zeigten. Beispiele hierfür seien seiner Ansicht nach die Hamsterkäufe oder der Andrang auf die Geldinstitute. Die- sen – nicht zu vernachlässigenden – Alltagsmomenten gehe ich im Teil „Alltag und Einheitsprü- fungen“ nach, wenngleich ich andere Begriffe als Verhey verwende. Die begeistert/karnevalek- sen Gruppen setzten sich nach Verhey weitgehend aus jungen Männern aus dem bürgerlichen/ akademischen Milieu zusammen. Vgl. Münkler (2013), 222–229; Lawrence (2007), 282; Nübel (2008); Baumeister (2005); Verhey (2000); Rutherdale (1996). Zu Victor Turner vgl. Moebius (22010), 108–111 sowie prinzipiell: Turner (2005). 25 Allgemeines zu den Funktionen der Gast- und Kaffeehäuser in: Csáky (2010), 149  f.; Staudinger (1985), 104. Für Hamburg liegt eine kommentierte Quellenedition zu den sogenannten „Knei- pengesprächen“ (1892–1914) vor: Evans (1989).
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Graz 1914 Der Volkskrieg auf der Straße
Titel
Graz 1914
Untertitel
Der Volkskrieg auf der Straße
Autor
Bernhard Thonhofer
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien - Köln- Weimar
Datum
2018
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY 4.0
ISBN
978-3-205-20569-2
Abmessungen
17.4 x 24.5 cm
Seiten
510
Schlagwörter
Steiermark, Weltkrieg, Styria, Landeshauptstadt, Heimatfront, Kriegsbegeisterung, Burgfrieden
Kategorien
Geschichte Vor 1918

Inhaltsverzeichnis

  1. Rahmenbedingungen 15
    1. Forschungsgeschichte 15
    2. Forschungsstand 25
    3. Fragenhorizont 35
    4. Erkenntnisbarrieren 36
    5. Mikrohistorie 40
    6. Vier Leitpanoramen 52
    7. Argumentationsstrang 65
  2. Sarajevoer Attentat und Graz 69
    1. Vom „Balkanbrand“ 1912/13 69
    2. Der Begriff „Begeisterung“ in der politischen Sprache 76
    3. Grazer Gemeinderatswahlkampf 83
    4. Intensive Julipolemik 88
    5. Der „Demarche-Rummel“ 99
    6. Blick nach Ungarn und „Strafexpedition“ 105
    7. Fallende Börsenkurse 110
    8. Ultimatum an Serbien 112
    9. Lokalisierungsfrage 116
    10. Verregnete Grazer Straßen im Juli 119
    11. Zur Trauerstimmung 122
  3. Innenstadt und Bahnhof 135
    1. Kein Telefonnetz 135
    2. Abbruch der diplomatischen Beziehungen 138
    3. Die „patriotischen“ Straßenumzüge 144
    4. Offengelegte Zeitungspolitik 151
    5. Unklare Mobilisierungsplakate 154
    6. Antisozialdemokratischer Demonstrationszug 162
    7. Grazer „Feldlager“ 166
    8. Die letzten Tage im Juli 170
    9. Großbritannien und Italien 176
    10. Verspätete Zeitungen in der Provinz 185
    11. Nach dem Truppenabmarsch am 11. August 187
    12. Abschiedsszenen 194
    13. Kaiserfeiern rund um den 18. August 206
    14. Ein „Denkmalfrevel“ 212
    15. Kriegsdauer, Kriegsausgang und Kriegstechnologie 214
    16. Erste „Entscheidungsschlachten“ 222
    17. Präventivzensur 227
    18. Erste „Soldatenerzählungen“ 234
    19. Grazer Frauenhilfskomitee 245
    20. Transportkolonne am Bahnhof 252
  4. Alltag und Einheitsprüfungen 257
    1. Arbeitslosigkeit 257
    2. Andrang auf die Geldinstitute 267
    3. Ausstattungsfrage und Postämter 276
    4. Hamsterkäufe 284
    5. Mietzins 299
    6. Kirchen und Friedhöfe 303
    7. Verlustlisten 318
    8. Infiltrierendes „Spinnennetz“ 323
    9. Ausschreitungen 333
    10. Demonstrationen vor Geschäften 340
    11. Über die „Sprachbereinigung“ 346
    12. Modeboykott 354
    13. Soldaten abseits der Truppe 363
    14. Neue Wachposten 374
    15. Arbeiterhilfskorps für Graz und Umgebung 387
    16. Pfadfinder und Wandervogel 389
    17. Die „Soldatenspiele“ der Kinder 398
    18. Diebstahl und Betrug 404
    19. Verbliebene „Kriegsfreizeit“ 412
  5. Schlussbetrachtung 423
    1. Stadtlandschaft im „Volkskrieg“ 423
    2. Grazer Einheitsbildung 428
    3. Einheitsgruppen 431
    4. Notwendige „Heimatfront“ 434
    5. Einheitsbrüche 436
    6. Einheitsprüfungen 439
    7. Entscheidungshilfen 444
    8. Thesen 450
  6. Anhang 453
    1. Tafelteil: Orte des Geschehens 453
    2. Abkürzungen 461
    3. Quellen 463
    4. Literatur 467
    5. Bildnachweis 503
    6. Register 504
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